Samstag, 27. Januar 2018

"Lieb mich Namibia" - 2. Kapitel
















2. Glück muss erobert werden
Eigentlich war mir danach zumute, Jim zu kontaktieren, um diese Neuigkeit auswerten zu können. Mit Carl ließe sich über dieses sensible Thema nicht diskutieren. In Südafrika ein Tabu! Also zog ich den Gedankenaustausch mit meinem Ältesten vor: „Guten Abend, wie kommst du so klar im Speditionsgedränge?“ „Von Tag zu Tag besser, kann mich langsam mit einem Firmenjob anfreunden.“
„Klingt begrüßenswert! Wusstest du von Kays Liebesleben?“
„Aber ja doch, hat er dich endlich ins Bild gesetzt? Derartige Formen des Zusammenlebens sind ja heutzutage barrierefrei.“ „Cool betrachtet, spricht nichts gegen eine solche Verbindung. Die Brücke, auf der man über den Fluss des Lebens geht, die muss man sich selbst bauen!“
„Oh, wie wahr! Habe festgestellt, dass es bei uns in Hamburg, der Stadt der Superjachten, doch am schönsten ist, vielleicht werde ich mich neu positionieren. Jemand muss ja mal in deine Fußstapfen treten. Mit Spekulieren und Jonglieren an der Börse gerät man zu schnell aus dem Fahrwasser. Hier habe ich ein Fundament und noch dazu eine tüchtige Frau Mutter, von der ich lernen kann.“
„Kaum zu glauben, dass du dazu bereit bist. Du weißt, dass diese Lebensbrücke schon gebaut wurde. Du musst sie nur beschreiten und festigen.“ „Genau darüber denke ich gerade nach.“ „Wenn das so ist, dann kann ich ja mit einer gutem Gewissheit meinen Safari-Urlaub antreten.“
Locker und gelöst, mit Vorfreude im Gepäck, entstieg ich am zweiten November um 7.30 Uhr den Namibia-Air-Bus in Windhoek. Nun war ich wieder in dem Land, das ich bereits geküsst hatte. Im Land des Regenbogens, wie die Einheimischen es liebevoll nennen. Unter dem Himmel, der so atemberaubend schön war, dass man sein Firnament für die Ewigkeit in sein Herz schließen musste. Nicht einmal der weißblaue Horizont über den schneebedeckten Bayrischen Alpen konnte es mit diesem Anblick aufnehmen.
Seelenschwester Rosi und ihr Sohn Patrick winkten mir bereits in der Ankunftshalle zu. Die zehn Flugstunden waren rasch vergessen. In dem Moment, wo beide vor mir standen, entluden sich die Wogen der Wiedersehensfreude. „Willkommen meine Babsifreundin!“, herzte mich die Dame von Welt. Auch Patrick umarmte mich liebevoll.
Als wir auf dem Parkplatz dem Ole-Jeep zusteuerten, begrüßte mich ein recht kühler Frühlingswind. „Bei uns windet es immer, deshalb Windhoek!“
Während der Fahrt wanderten meine Blicke von rechts nach links und von vorn nach hinten, um das Einzigartige von Tier- und Pflanzenwelt einzufangen. Bei unserer Ankunft im Ohleparadies umfluteten bereits die ersten Sonnenstrahlen den Tag mit wohliger Wärme. Der Frühling hatte Rosis Gartenanlage bunt gemalt. Nach einem Rundgang durch das recht große Anwesen platzierten wir uns auf der Terrasse mit malerischem Bergblickpanorama, frühstückten und tauschten unsere Gedanken endlos aus. Aufregung, Freude, Erwartung und ein unbeschreibliches Glücksgefühl besetzte meine sämtlichen Sinne.
In der Mittagszeit entspannten wir bei 25° C im Poolbecken, während ein Pfauenpärchen uns beim Schwimmen zuschaute. „Was für eine Wohltat, dem deutschen Schmuddelwetter entflohen zu sein.“, freute ich mich.
„Hier ist es ganzjährig warm, heiß, aber auch manchmal sehr trocken.“
Whats App an die Kinder: „Gut gelandet, liebevoll empfangen, von der Sonne geküsst und vom Safarifieber erfasst, möchte ich euch tausendfach grüßen. Schöner kann das Leben gar nicht sein! Eure Ma!“
„Barbara, ein Telefonat für dich, dein Herzbube verlangt nach deiner Stimme!“, vernahm ich Rosi.
Als ich den Hörer in der Hand hielt, war mir Carl auf einmal ganz nah, ich glaubte, seine Anwesenheit spüren zu können. Die Aufregung stand mir ins Gesicht geschrieben.
Gefühlte Direktverbindung! „Willkommen Herzensdame, schön, dich endlich in Reichweite zu wissen. Bald ist dein Schutzengel wieder aus Fleisch und Blut und hat ein pochendes Herz. In zwei Tagen kann ich dich in meine Arme schließen, das ist fantastisch! Ich hoffe, du wirst meine Sehnsucht stillen.“
„Ich liebe dich und Namibia, genau aus diesem Grund bin ich hier. Nun freue ich mich unendlich darauf, an deiner Seite den Zauber eures Landes aufs Neue zu entdecken. Danke für deine Bereitschaft, mit einem Harem auf Tour zu gehen.“
„Es wird mir Freude und Ehre zugleich sein! In Gedanken schließe ich dich schon ganz fest in meine Arme.“
Nach diesem Begrüßungstelefonat aßen wir mit den Kindern meiner Freundin, Gaby und Patrick, zu Abend, prosteten, plauderten und lachten. Von der Terrasse aus erlebten wir einen unfassbar farbenprächtigen Sonnenuntergang. „Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet!“, resümierte ich.
Am nächsten Morgen strahlte der Sonnenplanet durch die Rolloschlitze des Gästezimmers und tauchte es in ein warmes Licht. Energiegeladen sprang ich in den Tag, ausgeruht, überglücklich und neugierig, wie zum Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt. Rosi empfing mich mit einem blumig gedeckten Kaffeetisch ebenso stimmungsfroh. „Herrlich, dass du hier bist. Ich mag es nicht, alleine zu sein und liebe gute Gesellschaft!“
„Machen wir uns also einen wundervollen Tag!“ „Wir werden das Stadtgetümmel auskosten, shoppen gehen und im Salon Ohle zur Verschönerung einkehren. Du wirst staunen, wie viel sich in den letzten zwei Jahren hier bewegt hat. Windhoek entwickelt sich zur Weltmetropole. Viele Schwarze haben endlich begriffen, was Bildung bedeutet, sie sind bereit, von uns zu lernen und streben nach einem Leben im Rampenlicht der Städte. Das gelingt ihnen aber nur, wenn sie sich von alten Sitten, Bräuchen und Kulturen losreißen. Wer im Busch hängen bleibt, hat kaum Chancen auf ein niveauvolles Dasein. 250000 Einwohner unserer Stadt sind europäischen Ursprungs und vorwiegend deutschsprachig. Wir haben bisher die Wirtschaft strukturiert und voran gebracht. Seit die Macht in schwarzen Händen liegt, glaubt man, dass sich vieles von selbst regelt, aber das ist ein Irrtum, den die Urafrikaner rasch erkennen müssen, bevor ausländische Investoren alles aufkaufen.“
„Das klingt ja besorgniserregend!“
Dann ging es bergab in die City. Den BMW stellte Rosi auf dem Geschäftsparkplatz ab. Wir wünschten ihren Kindern und den Angestellten einen schönen Tag und wurden auf die Schnelle chick gestylt. Kundendienst pur!
Großstadtflair! Im Zentrum von Windhoek wurde man sich fast überall des deutschen Einflusses bewusst, besonders in Bezug auf Architektur und Einkaufskultur. Als wir durch die ehemalige Kaiserstraße flanierten, staunte ich nicht schlecht. „Wow, Aufschwung an sämtlichen Ecken und Enden. Diese gewaltigen Bauten, die wie Pilze aus der Erde schießen, zeugen aber schon von Fortschritt. Prunkbanken, Kaufhäuser, Imbissketten und Restaurants, genau wie bei uns.“, stellte ich begeistert fest.
Im Menschengedränge tummelten sich ein Dutzend einheimischer Kulturen, deren Sprachgewirr die Luft erfüllte. Sinnend schickte ich meine Bewunderung einer stolz daher schreitenden Herrerofrau nach, die trotz der Hitze ihre üppige Tracht präsentierte. Im Gegensatz dazu eilten recht modisch gekleidete Schwarzafrikaner an uns vorüber. Keinerlei Anzeichen von Armut oder Ausgrenzung waren zu spüren. „Hier bin ich ja fast zu Hause!“, frohlockte ich. „Der Schein trügt. Nicht nur Medizin schmeckt bitter, auch das Leben vieler Einheimischer ist oft gallebitter.“, belehrte mich die Freundin.
Die Sonne war bereits ein riesiger goldener Ball, der über dem Himmel glühte, als wir wieder im Ohlereich ankamen. Terrassensträucher und Bäume brachen das Licht und spendeten Schatten. Naturformationen erschienen bunt, grenzenlos und berauschend, ebenso wie dieses Namibia.
Mittwochmorgen, der Safari-Countdown nahm seinen Lauf. Mein Erlebnisfieber stieg enorm an. Heute würde ich Hanna, Geschäftsfrau von Format und Mia, das Powerweib, in meine Namibialiebe hautnah einschließen können. Und dann kam da noch Carl Salomon, der mir schon am Telefon entgegen posaunt hatte: „Liebes Glück, ich komme!“
Mit gemischten Gefühlen sah ich der Konstellation unseres Abenteuerteams entgegen. „Würde Carl zwischen drei Vollblutdamen die Balance finden? Kann er es schaffen, sein körperliches Begehren, das auf mich abzielte, in den Hintergrund zu stellen? Gib dem Leben und der Liebe eine Chance!“, riet mein Bauchgefühl.
„Zur Feier des Tages verwandeln wir die Terrasse in eine Partymeile, Mark und Patrick können sich um das Holz für den Grill kümmern und den Rest erledigen wir!“, ließ Rosi verlauten.
Gesagt getan, alles war empfangsbereit hergerichtet, als in der Mittagszeit das Safariteam aus Swakop eintrafen. Wir gaben uns locker leicht der Wiedersehensfreude hin und plauderten in alter Vertrautheit über das, was hinter uns lag, gemeinsame Erinnerungen sowie neue Erwartungen. Dabei gab es viel zu lachen. Hanna, Mia, Rosi, Carl und auch ich waren für ein neues Namibiawagnis bereit.
Mein Herzbube verhielt sich recht engagiert und kehrte den Gentlemen heraus, denn schließlich gingen wir nicht auf Liebestour. Er hatte sich bereit erklärt, vier Frauen zu begleiten. Eine wahre Herausforderung, denn jede von uns besaß Charme, hatte Humor, trachtete nach Lebensfreude und hatte eine gesicherte Existenzgrundlage. Das traf natürlich auch für Carl zu.
Unser gemeinsames Schicksal, verwitwet zu sein, hatte uns irgendwie zusammengeführt und in freundschaftliche Bande verschlungen. Es passte, wir wurden rasch ein vertrautes Trüppchen, das außerordentlich safarifreudig war.
Rosi, die kaum alternde Schönheit, deren Blondschopf von einer roten unübersehbaren Haarsträhne raffiniert gestylt war, erregte stets Aufsehen. Ihr kontaktfreudiges und warmherziges Wesen zog jeden in ihren Bann, besonders mich.
Auch unsere Hanna besaß Strahlkraft, war eine Frau von Format und bevorzugte trendige Looks. Mit ihren klugen Augen blickte sie stets scharfsinnig in die Welt. In „Nels Immobilien“ stand sie ihren Kindern tatkräftig zur Seite. Oft erzählte sie uns, mit wieviel Geduld sie ihre schwarzen Angestellten auf Trab bringen musste.
Mia war Motor und Respektsperson, couragiert, unerschrocken und geschäftstüchtig. Was sie anpackte, das brachte sie auch zu Ende. Nach dem Unfalltod ihres Mannes hatte sie ihr großes Anwesen verkauft und sich ein schickes Häuschen im Wüstenland bauen lassen.
Carl, die Manneskraft in unserer Mitte, im besten Alter und vermögend, hätte jede Frau mit seiner Sanftmut, Intelligenz, Ausstrahlung und viel handwerklichem Geschick um den Finger wickeln können. Sein Format hatte sich in mein Herz geschrieben. Auf liebenswerte Art hatte er bereits beim Nachmittagskaffee angedeutet, dass er uns bis an das Ende der Welt chauffieren würde.
Als Hanna und Mia, unsere Organisatorinnen, das Programm genauestens vorstellten, begannen meine Sinne zu vibrieren, denn für mich war alles neu, was wir vorhatten.
„Ich habe Barbara versprochen, sie von ganz Namibia küssen zu lassen. Der Norden wird dich ebenso verzaubern wie das, was du schon kennengelernt hast.“, betonte Carl.
Wir prosteten auf Freundschaft, Begegnungsglück, Vergnügen und Safarieevents. Dann kam Trubel auf, denn Gaby, Patrick und Hannas Sohn Mark gesellten sich zu uns. Fleisch, Brot und Salate waren angerichtet, die Getränke gut gekühlt und wir in bester Stimmung. Das Brayfest konnte beginnen.
Nun gaben wir uns ganz dem Genuss von Oryxsteaks, Burenwurst und Fleischspießen hin. Das duftete nicht nur lecker, sondern schmeckte auch vorzüglich, zart und saftig. Unsere Grillspezialisten brüsteten sich damit, Meister dieses Faches zu sein.
„Man sieht euch ja an, dass ihr ein leckeres Stück Fleisch zu jeder Tageszeit verputzen könntet!“, scherzte ich, denn beide trugen ein paar Pfund zu viel mit sich rum. Aber ihr gutes Benehmen und das gepflegte Äußere bestimmten ihr Erscheinungsbild. Patrick war ein talentierter Friseurmeister, der das Geschäft seine Eltern erfolgreich weiterführte. Er besaß Geschick und Humor. Mark dagegen verdiente sein Geld im Bankgewerbe. Als sie aus ihrer gemeinsamen Kinderheit erzählten und Späße von der Schulbank zum Besten gaben, schnellte die Stimmung hoch. Wir johlten, bei dem Versuch, ihr Schwanenseeballett-Stück von einst zur Aufführung zu bringen, das damals zum Elternabendprogramm gehörte. Welch ein amüsantes Erlebnis für alle. Man musste echt darüber staunen, wie viel Grazie noch in ihren Bewegungen steckte. Fazit: „In Namibia frönt man der Familie, Geselligkeit und dem Frohsinn ebenso wie in Deutschland!“
„Und doch ist bei uns vieles anders geworden. Die Kriminalität ist nach der Apartheid rapide angestiegen, auch wenn man das vertuscht. Schwarze kommen aus dem Busch und glauben, für sie tut sich ein neues Reich auf, ohne zu begreifen, dass Wohlstand erarbeitet werden muss. Oft reißen sie mit Gewalt Besitz an sich, um an Reichtum zu kommen. Einige Farmer der Umgebung sind auf ominöse Weise ums Leben gekommen. Wir haben in Windhoek schon eine Bürgerwehr gegründet, um unseren Stadtteil zu beschützen.“, berichtet Patrick mit Betroffenheit.
„So werden schwarze Wüstenträume zu Staub!“, betonte Rosi.
„Auf geht’s!“, mit diesen Worten schwang sich Carl am nächsten Morgen auf den Fahrersitz unseres Safari-Kleinbusses. Mia, als versierte Copilotin und Reiseleiterin, platzierte sich auf dem Beifahrersitz. Sie kannte diese Strecke. Die beiden anderen Afrikadamen blockierten die zweite Sitzbank und ich machte mich ganz ungestört in der dritten Reihe breit. Damit war die Sitzordnung festgelegt. Als alles verstaut war, starteten wir von Windhoek aus Richtung Norden nach Grootfontein, erlebnisfreudig und bestens gestimmt.
„Vier starke Frauen, ein gestandener Mann, alle im besten Alter, lebenserfahren und vom Schicksal gehärtet, wer könnte wohl dieses Team aus der Bahn werfen?“, unkte Hanna.
„Niemand natürlich!“, ertönte ein Chorgesang.
„Namibias Vielfalt erlebt man stets aufs Neue. Küsten mit zahllosen Traumstränden, Buschland, bizarre Hochgebirge, fruchtbare Täler, Trockensavannen, Wüstenspiele und die einzigartige Tierwelt werden wir entdecken, erkunden und bestaunen können.“,frohlockte Carl.
„Die Getränke- und Lunchbox sind gefüllt, alle Übernachtungen sind reserviert und die Reisekasse ist bestens bestückt. Nun kann uns nichts mehr aufhalten!“, versicherte Hanna.
Unsere Erwartungen stiegen mit jedem Fahrkilometer und die Beobachtungen gestalteten sich immer interessanter. Die karge Kalkhügellandschaft wurde von Straßenhändlern aufgelockert, sie boten Essbares, Kunstvolles, aber auch Kitschiges an. Nach etwa 50 km säumten Bergketten unseren Weg. Eine Affenbande überquerte die Fahrbahn gestikulierend, Straßenbauarbeiten beeinträchtigten den Verkehrsfluss und ausgetrocknete Flussläufe hinterließen einen besorgniserregenden Eindruck.
Erneut Pavianbäume, ein Hupkonzert ließ die Tiere aufschrecken. Wir schmunzelten, von Affenliebe besessen. „So harmlos spaßig sind die gar nicht. Bis auf den Inhalt eines Kühlschranks haben sie schon in so mancher Lodges alles auf den Kopf gestellt!“, warnte Rosi.
Farmergebiet! Passkontrolle! Die Mittagshitze von 30°C hatte die Polizisten in den Trägheitszustand versetzt. Wir wurden durchgewunken.
„Okahandja, wir haben unser erstes Ziel bald erreicht, die Gegend wird kultivierter. Babsi, siehst du die Hochwasserbehälter, Stromleitungen und Bahndämme?“, agierte Mia.
Am Stadtrand wurden Baracken und Wohncontainersiedlungen sichtbar, eng behaust.
Namibiablumen flatterten im Wind und die Straßen belebten sich.
„Schaut mal nach rechts! Was ist denn da los!“, wollte ich wissen. „Schwarzendemo! Die haben mal wieder irgendwelche Forderungen, „Farmerland in schwarze Hand!“ Wie dieses bewirtschaftet wird, wissen sie oft gar nicht. So durcheinandergeweht schaut nämlich die Realität aus!“, bemerkte Carl.
Das Stadtzentrum, ein Zeitgeist der Moderne, Grünanlagen, Parkflächen, Straßenzüge, Einkaufsmeilen und ein reges Markttreiben färbten das Bild. „An diesen Ständen wird das leckerste Rindfleisch weit und breit feilgeboten. Vom Erzeuger auf den Tisch! In der Frühe herrscht hier Massenandrang, denn die vielen Restaurantbesitzer wollen mit gutem Essen punkten!“, erklärte Hanna.
Beeindruckt von so viel Kultur kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus. „Wahnsinn, was es in dieser Stadt alles gibt. Dort ein Schulkomplex, nebenan das chinesische Shoppingcenter, hier ein Internetcafè und nun parken wir vor dem Spardiscounter!“ „Auch das ist Namibia!“, betonte Mia.
Nächstes Stadterlebnis! Otjwarongo überraschte mich mit ähnlichem Flair. Dort machten wir einen Imbiss- und Tankstopp. Hanna traf sogar einen Bekannten und verkündete stolz: „Hier bin ich geboren. Meine Großeltern hatten ein renommiertes Fotogeschäft. Es war damals das modernste in dieser Gegend mit Kameratechnik aus Deutschland.“ Darüber musste ich echt staunen.
Die Getränke waren gekühlt, die Burenwurst schmeckte echt lecker.Gut gestärkt trotzten wir der Mittagsglut und setzten unsere Fahrt fort. Schwarze chillten im Baumschatten, Tiere suchten sich ebenfalls ein Schattenplätzchen.
Die Farmen der Weißen unterschieden sich deutlich vom Farmerland der Schwarzen. Hier waren die Weideflächen parzelliert, umzäunt und mit Wasserbehältern ausgestattet. Da herrschte Wildwuchs, die Herden wurden von Viehtreibern bewacht und von Kameldornsträuchern zusammengehalten. Farmerhütten wurden neben fachwerkgeschmückten Farmerhäusern sichtbar. Ein Gegensatz, der unübersehbar war.
„Nach einem Gesetz aus dem Jahre 2015 dürfen Farmer ihren Besitz nur an echte Namibier weiterverkaufen.“, klärte mich Rosi auf. „Stört mich nicht, habe kein Interesse!“
„Unsere wahren Schätze liegen im Untergrund verborgen. Aber es fehlt das Geld für eine lukrative Fördertechnik. Deshalb gehören die meisten Minen ausländischen Investoren. In den Bergbauregionen werden Uran, Gold, Silber und Eisenerze zutage gefördert. Hier ist ein solches Abbaugebiet, gekennzeichnet durch Fördertürme, ausgebaute Straßen, Bahnlinien und Bungalowsiedlungen. Wer dort einen Job bekommt, kann auf der Sonnenseite des Lebens wandeln!“
Jetzt steuerten wir eine ganz besondere Sehenswürdigkeit an, den Hoba-Meteorit bei Grootfonteins. „Der ist mit seinen 60 Tonnen das schwerste Stück, das jemals vom Himmel geplumpst ist. Er besteht zu 82,3 % aus Eisen und der Rest ist aus Nickelgestein. Natürlich ein denkmalgeschützter Brocken!“, ließ Rosi verlauten.
Alle bestaunten, umkreisten und erkletterten den Koloss und schossen Erinnerungsfotos an diesem Pilgerort.
Mitten im Niemandsland stießen wir auf eine Farmoase. Hier hatte ein Schweizer seinen Traum von Freiheit und Abenteuer verwirklicht. Siggi, von Beruf Metzger, hatte sich ein eigenes Tierparadies durch moderne Bewässerungssysteme und das nötige Startkapital inmitten der Einöde geschaffen. Er, seine Großfamilie und die Gäste bewohnten ein prächtiges Farmerhaus mit Dreiseitenhofanlage, Pool, Bartheke und Liegewiese. Im Freigelände entdeckten wir noch eine Bungalowsiedlung, die kurz vor der Fertigstellung stand. „Das Touristengeschäft boomt. Die Welt schreit nach Namibia. Unser Fleisch ist ein Export- und Importschlager.“, prahlte er.
Nach Kaffee und Schokotorte durchstreiften wir das Tiergehege, ein Pfau blieb uns auf den Fersen. Die Zebras zeigten Zurückhaltung. Seine wohlgenährten Viehweiden säumten das beschauliche Anwesen.
Der Hausherr selbst servierte uns zum Abendessen ein XXL-Steak vom Feinsten, das einem förmlich auf der Zunge zerging. „Das Essen bereite ich selbst zu. Kochen zählt zu meinen Leidenschaften und Frauen übrigens auch. Wir sind ein reines Familienunternehmen. Die beiden Söhne kümmern sich um das Vieh, die Frauen und Mädchen um das Haus und ich sorge dafür, dass alles schmeckt und läuft.“
„Wie kommt denn ein Grazer nach Namibia?“, wollte Carl wissen. „Vor 15 Jahren bin ich mit der Familie ausgewandert. Unsere Ersparnisse reichten aus, um den Landbesitz zu erwerben. Du musst arbeiten können und Verstand haben, wenn du es hier zu was bringen willst!“
Dann machte er uns auf ein Großformat von Tierfoto aufmerksam. „Mein Prachtlöwe Baba, er hat zehn Jahre auf dieser Farm mit uns gelebt. Dann gab es einen Knall und er war tot. Mein Herz blutete, als ich ihn erschießen musste. Sein Wildtrieb war plötzlich durchgebrochen und er hat ein Zebra gerissen. Um Schlimmeres zu verhindern, musste er sterben!“
Wir verbrachten zwei aufregende Safaritage auf dieser Ranche, lernten einen weltoffenen Menschen und seine Geschichte kennen. Inzwischen hatte Siggi zwei Afrikafrauen und drei bunte Sprösslinge, die seine Familie bereicherten. Alle winkten uns beim Abschied zu.
„Drei Frauen, welch eine Aufgabe, welch ein Vergnügen!“, scherzte Carl.
Unsere Straße wurde bei der Weiterfahrt von vertrockneten Palmen gesäumt, die ein trauriges Bild abgaben. „Regen heißt das Gold Afrikas. Von diesem Segen sind Mensch und Tier zugleich abhängig.“, bemerkte Hanna.
Erneut Einöde! Hier und da tauchten unerwartet lustige Gestalten in Schuluniform mit Kanister auf dem Kopf auf. Ganz vereinzelt suchten sie ihre Wege.
„Sie laufen zu der nächsten Farmerschule, um ihrer Bildungspflicht nachzukommen, oder gehen schon arbeiten. Die Entfernungen sind oft endlos. Aber wer seinen Kindern eine bessere Zukunft bieten möchte, schickt sie zum Lernen. Als Belohnung für ihr Kommen werden die Behälter mit Wasser gefüllt. Mädchen beenden die Schule größtenteils vorzeitig, also ohne einen Abschluss, weil sie frühzeitig schwanger werden. So genau wird diese Pflichterfüllung nicht kontrolliert!“, bemängelte Rosi.
Himmelblau besiegte die Federwölkchen, 22° C gegen zehn Uhr am Vormittag. Wir zollten unser Mitleid den Straßenbauarbeitern, die sich körperlich total verausgaben mussten. Ihre Camps waren direkt am Fahrbahnrand erkennbar, wo der Staub Plastiktüten zerfetzt  und vertrocknetes Laub aufgewirbelt hatte.
„Hier bewegt sich einiges. Überall entstehen neue Verkehrsverbindungen nach europäischen Standards.“, erzählte Mia.
Warnschilder vor Muirani! Seuchenkontrolle! Wir mussten aussteigen und über eine Desinfektionsmatte watscheln. Ich stellte mich doof an und wollte die Schuhe ausziehen. Darüber schmunzelten alle.
Dieser Landstrich zeigte sich dünn besiedelt. Hier, da, dort und irgendwo eine Siedlung. Behausungen der primitivsten Art aus Schilf, Holz oder Blech, klein und selbst gezimmert. Das Tagesgeschehen spielte sich vor den Hütten ab. Die Alten rührten im Kochtopf über dem offenen Feuer, Frauen saßen im Sand und fertigten landestypischen Schmuck an, andere kamen am Straßenrand entlang, die Wasserkanister gekonnt auf dem Kopf balancierend. Kleinkinder kugelten im Sand und alte Männer bewachten das Vieh.
„Die Väter gehen in die Stadt, um das Geld für den Unterhalt zu verdienen. Das ist Namibia!“
Wir stoppen auf offener Straße, weil zwei Ziegenböcke mitten auf der Fahrbahn einen Kampf austrugen. Schaulustige Bockis und Esel standen im Abseits. Jetzt kamen uns ein paar klapprige Kuhkörper entgegen und überquerten im Schneckentempo die Piste. „Das Reich gehört den Tieren, sie haben sogar auf den Verkehrswegen Vorfahrt!“, scherzte Carl.
Eine neue Entdeckung fesselte mich. Halb verrostete oder ausgebrannte Fahrzeuge verunstalteten die Landschaft. Rechts und links der Fahrbahn einfach entsorgt. „In manchen Wracks haben Obdachlose ihr Domizil aufgeschlagen. Kein schöner Anblick!“, so Mia.
Die Welt dreht sich ständig, ebenso wie sich unsere Kulisse veränderte. Mit einem Mal wurde alles wieder zivilisiert, geordneter, wohlhabender und modern. Ansiedlungen mit Dorfidylle, Wohnbaracken, Geschäftshäusern, Basaren, Autoreparaturwerkstätten, Friseurbuden und sogar ein Handyshop präsentierten sich unseren Blicken.
„Kein Wasser, aber ein Handy und eine Colaflasche in den Händen!“, kritisierte ich.
Es wurde noch besser. Die ersten Radfahrer begegneten uns. Nirgendwo Müllhalden! Farbenfroh gekleidete Namibier kreuzten unseren Weg. „Hier scheint die Welt aber in geordneten Bahnen zu laufen!“.
„Auch das ist Afrika!“, lobte Hanna.
„Dieses Siedlerleben wird staatlich gefördert, man will die Stämme in Wohnsiedlungen menschenwürdig vereinen und ihnen eine geordnete Lebensweise beibringen. Dabei helfen Entwicklungsleute aus dem Ausland, vorwiegend in Mission. Viele sind dem Staat dafür dankbar. Es gibt aber auch Menschen, die die Zivilisierung ablehnen!“, klärte mich Rosi auf.
Reges Markttreiben! Hier und dort wurden Holzschnitzereien angeboten. Wir stoppten und begaben uns auf Souvenirsuche. Kaum geerdet, tauchte aus dem Gestrüpp ein zahnloser Greis auf. Er verstand uns nicht, erkannte aber eine Kaufabsicht und schrieb die Preise in den Sand. Plötzlich ein Gewimmel um uns herum. Kinder krochen wie Ameisen aus dem Buschwerk und beäugten uns mit bittenden Augen. Die Großen zogen die Kleinen hinter sich her. Exotisch strahlende Kindergesichter erwärmten unsere Herzen. „Ich laufe mal rasch zum Kofferraum und sehe nach, was noch an Erfrischungen und Süßigkeiten in der Box ist!“, ließ Mia verlauten. Mit Obst, Pepsi und Leckereien machten wir die Rasselbande überglücklich. Wir verteilten, was vorrätig war und kamen in Bedrängnis, als die Kinderschar von Minute zu Minute wuchs. Letztendlich ergriffen wir die Flucht, als unsere Gaben erschöpft waren.
Wenige Kilometer weiter animierten uns Obstverkäufer zum Anhalten. „Hier gibt es ja Pampelmusen. Die mag ich, lasst uns welche mitnehmen, frisch und gesund!“ „Diese Früchte sind landestypisch und wachsen hier wild. Sie enthalten viele Vitamine und haben schon so manchen Hunger bekämpft. Es gibt auch Saft von diesen Afrikaorangen!“, ließ mich Hanna wissen. Wie es schien, war der Boden hier sehr fruchtbar, sattgrüne Wiesen, fette Rinder und Obstanbau, dank dem Okavango-Fluss.
„Dieses Gewässer, trennt Namibia von Angola ab. Momentan ist das Flussbett gut gefüllt. Davon hängt es ab, ob die Weideflächen grünen oder vertrocknen, ob die Tiere gedeihen oder verdursten.“, so Mia.
„Welcome Rundy!“, empfing uns ein großes Schild. Die Vorstadt war von schwarzer Wohnkultur geprägt, die Metropole von Rundy beeindruckte mit europäischem Flair. Obwohl das Zentrum reizend war und vor Geschäftigkeit nur so summte, wirkten die Schwarzensiedlungen verkommen und staubig. Eine grau durchsetzte Vorstadtatmosphäre, die trostlos auf mich wirkte. Der Autoverkehr rollte, Hochhausgiganten ragten gen Himmel und Reklameflimmern blendete uns im Sonnenlicht. Typische schwarz weiß Kontraste!
In meinem Inneren stapelten sich viele offene Fragen auf: „Wie kommen die Kinder voran, die zur Schule gehen und Analphabeten-Eltern haben? Wo kommt das Schulgeld her, wenn diese Buschbewohner mal gerade so viel besitzen, wie zum Überleben notwendig ist? Woher nehmen diese Ovambos ihre Zufriedenheit?“
Carl entgegnete: „Die Jungen schaffen es nur, wenn sie ihre Hütten verlassen! Für begabte Schüler gibt es Fördergelder oder Spenden. Den Frohsinn schöpfen die Menschen aus ihrer Mentalität und den geringen Ansprüchen. Sie halten an Traditionen fest und leben im Einklang mit der Natur, das macht sie glücklich.“
„Bewundernswert diese Einheimischen, sie singen oft und gerne. Ihr Gesang klingt inbrünstig, geradezu sanft, in gedämpften Tönen, die eine innere Ruhe ausstrahlen.“, ergänzte Hanna.
Jetzt hatte ich begriffen, dass diese Schwarzen nicht mein Mitleid verdienten, sondern den Respekt. Und nun empfand ich die Reise durch das Ovamboland nicht mehr als eine Fahrt durch die Finsternis. Ich betrachtete diese Lebensumstände als gewolltes Schicksal. „So ist Namibia: Wunderschön schwarz-weiß und facettenreich!“, rundete Mia meine Gedanken ab.
Aber das Mädchenproblem ging mir trotzdem nicht aus dem Kopf. Genug zu essen zu haben, kostenlos zur Schule zu gehen und gleichwertige Bildungschancen zu haben, war bei uns eine Selbstverständlichkeit. Hier waren Mädchen eindeutig benachteiligt. Sie bekamen wenig Aufmerksamkeit, mussten härter im Haushalt schuften und wurden häufig Opfer von Gewalt. Genitalverstümmelung und Frauenhandel krönten die Diskriminierung. Für mich ein unvorstellbarer Zustand.
Mia riss mich aus dem Grübeln. „Das nächste Namibia-Wunder erwartet uns, Popa-Falls, ein Besuchermagnet, denn Wasserfälle sind bei uns schon Naturwunder. Dieses wurde zum Ausflugsziel ausgebaut und zieht gerade in den Trockenperioden viele Neugierige an.“
Parkähnlich hatte man das Domizil mit einem Hauch von Luxus angelegt. Wir relaxten erst im Liegestuhlbereich und lauschten dem Plätschern des Wassers. Danach stürmten wir die Sonnenterrasse und nahmen einen kleinen Imbiss. „Was für eine Wonne in dieser Hitze!“
Nachdem wir unsere Akkus aufgeladen hatten, fuhren wir entlang des Okawangoflusses weiter. Das Land wurde zusehends fruchtbarer und von endlos vielfältigen Tierherden besetzt gehalten. „Für die Menschen, die hier angesiedelt sind, bedeutet der Fluss Leben, denn er nährt das Weideland, die Tiere und Siedler.“, so Carl.
„Warst du schon einmal auf einer Riverlodges?“, fragte Rosi. „Ich kenne nur Campingplätze an Seenplatten und Flussläufen, wie Elbe, Rhein und Main, an denen man viele Wassersportmöglichkeiten hat.“ „Na dann wirst du staunen über das, was uns jetzt erwartet. Tier- und Wasserfaszination pur!“
„Wenn wir Richtung Norden reisen, dann machen wir hier stets einen Zwischenstopp, um die Einmaligkeit von Natur und Kultur genießen zu können!“, versicherten mir die Namibia-Freunde einstimmig.
Das machte mich neugierig. Welch ein Wasserparadies würde mich wohl erwarten? Mitten im Wohnviertel der Afrikaner befand sich die Omarum Gemelodge, natürlich separat und eingezäunt. Ich tauchte regelrecht in eine unbekannte fantastische Welt ein, in der sich Schwarze und Weiße harmonisch ergänzten.
Bereits im Empfangsbereich herrschte reges Treiben. Es wurde an vielen Ecken gebaut und gewerkelt. Gäste wurden verabschiedet und willkommen geheißen. Frauen kamen uns voll bepackt mit Spar-Einkaufstüten entgegen. Eine Kinderschar spielte auf einem Sandplatz Fußball. Die Tore wackelten bei jedem Schuss: Marke Eigenbau!. Der Bewegungsspaß stand den Jungen ins Gesicht geschrieben. Dazu fiel mir spontan ein Gedichtvers ein: „Ein deutsches Kind, ein türkisches Kind, ein afrikanisches Kind, ein Indianerkind drücken beim Spielen die Hände in Lehm. Nun geh‘ und sag‘, welche Hand ist von wem? (nach Hans Baumann).“
Wenige Metern später tauchte das Tor zur River Lodges auf.Die runden Türme zu beiden Seiten der Einfahrt, die flachen weißen Mauern, die sich links und rechts an die Tore schlossen und sich abgrenzend in die Landschaft streckten, wirkten majestätisch. Alles in Weiß gehalten, was zum fetten Grün des Okavangodeltas unter blauem Himmel beinahe zu einem surealem Kunstwerk wurde.
Alex, der Lodgechef, trat uns freundschaftlich entgegen: „Na, auch mal wieder hier? Herzlich willkommen! Wer einmal hier war, kommt immer wieder. Ich mache jeden Aufenthalt zum Event. Entspannen, Erleben, Entdecken, unter diesem Motto steht unser Programm, das keine Wünsche offen lässt.“
Umarmungen, Willkommensdrink und Einweisungen folgten seinen Worten. Unsere Quartiere waren teils als Pfahlbauten oder Bungalows angelegt, über Wasser oder unter schattenspendenden Bäumen. Staunend bemerkte ich: „Himmlisch romantisch! Ich bin total baff von dieser Lage und dem Luxus, der uns umgibt. Hier haben wir den Himmel auf Erden!“
„Wie wahr!“, bekräftigte Carl und trug mich über die Türschwelle unseres Zweierquartiers. „Wenn ihr ausgestaunt habt, können wir an der Überwasserbar einen Drink nehmen!“, drängelte Mia.
Das Restaurant, in schwindelnder Höhe über dem River, war echt der Hammer. Mit einem Rock Chanty in der Hand schwebten wir über dem Okawango, gekrönt von einer gigantischen Kulisse.
„Die beeindruckendste Naturbühne der Welt, die ich je betreten habe. Schaut mal nach unten, da tummeln sich Krokodile und Flußpferde, gerade so, als würden sie unsere Gesellschaft suchen. Und da drüben erst, da inszeniert der River-Zirkus für uns eine Extravorstellung. Ich glaube, ich träume!“
Wie gebannt starrte ich in diese Kulisse und ließ mich vom Zauber des Augenblicks überwältigen. „Einfach umwerfend dieses Tagkino für Europäer, was? Unser Namibia ist einzigartig mein Schatz und wir Menschen natürlich auch!“, frohlockte Carl. „Dafür liebe ich euch ja!“, schluchzte ich mit Freudentränen, die ungewollt zu Tröpfeln begannen
Für dieses Kompliment bekam ich von meinem Herzbuben einen dicken Kuss.

Das Ambiente beim Abendessen hätte man mit fünf Gourmetsternen bewerten können. Schwäne aus Damast-Servietten zierten jeden Platz.

Auf den Tischen erhellten Zebra- und Elefantenfiguren, in Solarlampen stehend, die einsetzende Dämmerung. Über uns der Sternenhimmel, unter uns das Rauschen des Wassers und auf dem Tisch ein vorzügliches Viergänge-Menü, das uns majestätisch serviert wurde. Die erlesenen afrikanischen Gaumenfreuden wurden durch Südafrikaweine zum Hochgenuss.
Ich hätte fast sentimental werden können in dieser Traumwelt, herzte meine Freundinnen und prostete mit Carl auf unser Liebesglück. „Ist das wirklich das Hier und Jetzt? Dass das Leben so aufregend schön sein kann, wird mir hier fast täglich bewusst. Tausend Dank dafür, dass ihr mit mir in eure phantastischen Naturschönheiten eintaucht!“, gestand ich tief bewegt.
 

 Lasst euch vom Lebensgefühl Namibias verzaubern!

  


  

















Ich lade euch herzlich ein, am 20.02.2018 um 19.00 Uhr in der Stadtbibliothek Heiligenstadt meine Gäste zu sein. 









Dienstag, 16. Januar 2018

"Lieb mich Namibia"- 1. Kapitel

       Erstveröffentlichung von Irmhild Ehrenberg


              

 

      

 

 

 

 

 

 

 

 

               

 

 

 

                                     Inhaltsverzeichnis

             1. Erst geküsst und dann geliebt

             2. Glück will erobert werden

             3. Im Königreich der Elefanten

             4. Ovambo-und Etoshafaszinationen

              5. Rüsselflirt und Nashornliebe

              6. Jeder Begegnung wohnte ein  Zauber inne

                 

  
                                                               
                                                                   


                                       „Lieb mich Namibia“

1. Erst geküsst und dann geliebt 
Es war ein wunderschöner Sommertag, mitten im September. Die Sonne brannte auf meiner Haut, die Luft war klirrend heiß, das Thermometer war auf fast unglaubliche 34° Celsius hoch geschnellt. „Afrikaklima!“, schoss es aus mir heraus.
Im Hafencafè sitzend, streichelte eine frische Brise meine leicht gerötete Nasenspitze, das Gesicht saugte die Sonnenstrahlen auf und ein lauer Wind trug meine Gedanken in das Reich der Träume, die auf einem magischen Kontinent strandeten, der im Takt der ganzen Welt pulsierte und nicht nur mit tierisch großen Abenteuern lockte, sondern auch von wundervollen Menschen besiedelt war.
Ich hatte das Regenbogennamibia auf meiner letzten großen Urlaubsreise geküsst und mich küssen lassen. Entflammt von diesem außerordentlichen Land und unvergesslichen Erlebnissen, kamen große Sehnsüchte auf. In meinem Herzen spürte ich noch immer die Wärme und Herzlichkeit von Rosi, Hanna, Mia und ihren Familien. Gigantische Safari-Highlights begannen vor meinen Augen zu tanzen und plötzlich spannte sich der afrikanische Himmel so gewaltig weit und leuchtend blau über meine Erinnerungen.
Von Afrika hatte ich einst geträumt und im November letzten Jahres ein Namibiamärchen erlebt, das mein Dasein mächtig durcheinander gewirbelt hatte. Am meisten brannten die Küsse eines Carl Salomons aus Swakopmund noch wie Feuer auf meinen Lippen, obwohl ich hier in Hamburg mindestens 16 000 km von ihm entfernt relaxte.
Die Gedanken reihten sich wie Perlen eng aneinander. Das Friseurinnengenie Rosemarie Ohle und die Immobilienmaklerin Hanna Nels hatte ich auf einer Südafrikakreuzfahrt kennen gelernt. Wir fanden uns damals auf der „Westerdam“ rasch zu einem amüsanten Vergnügungsteam zusammen. Die Chemie stimmte vom ersten Tag an. Gemeinsam staunten wir über die Bordangebote, entdeckten fast täglich etwas Neues, hatten unendlich viele Glücksmomente und frönten dem Kartenspiel. Unvergesslich, diese grogartige Tour! Seither blieben wir in freundschaftlichen Kontakten.
Carl fiel eigentlich wie eine Sternschnuppe in meine Welt, so nach dem Schicksalsprinzip. Wir hatten zusammen in Deutschland die Schulbank gedrückt und erst vor meiner Reise beim Klassentreffen in Hamburg die wahre Bekanntschaft gemacht. Ihn und meine Afrikafreundin Hanna verband der Lionsclub in Swakop. Somit wurde die Perlenkette immer länger und das Glück öffnete mir neue Türen.
„Unser Dasein ist einzigartig lebenswert, auch wenn man im reiferen Alter angekommen ist!“. Mit dieser Feststellung begann ich die Weichen neu zu stellen. Eigentlich könnte ich mit meinem Standard zufrieden sein, besaß ein eigenes Haus, eine kleine, gut laufende Firma und hatte zwei tolle Söhne.
„Du bist ein zäher Dynamo, regierst eine Männerwelt und wirst als tüchtige Geschäftsfrau respektiert.“, bemerkte Tim einmal.
Aber all das bedeutete für eine Frau nicht die höchste Form des Glücks. Ich war Witwe, verweilte oft einsam in meinen luxuriösen vier Wänden, hatte Angst vor langen Winterabenden und vermisste eine starke Schulter zum Anlehnen. Keiner war da, der mir die Wünsche von den Augen ablas oder eine Kuscheldecke überwarf, wenn mir kalt war. Diese Leere ließ die Seele ab und an schwanken.
Jim, mein Börsenspekulant, kam äußerst selten zu Besuch. Für ihn standen die Karriere im Vordergrund und die Finanzwelt im Mittelpunkt. Meine Seelenapotheke war Kay. Wenn ich ihn brauchte, war er zur Stelle. Sein Studio lag in meinem Wohnbezirk. Dieser Umstand schaffte Nähe, denn er glich seinem Vater sehr. Unser Jüngster besaß ein ebenso ausdrucksstarkes Gesicht mit Forscherblick und einem Strahl von Besonnenheit wie mein Wolfgang. Sein wildes Herz vereinte Romantik und Aufbegehren, Mensch, Natur und Kunst. Er liebte es, an warmen Abenden draußen zu sitzen, das Spiel des Sonnenuntergangs zu bestaunen, zu träumen und zu reden.
Als er mich letzte Woche mit einer Flasche Mumm überraschte, offenbarte ich ihm meine Gefühlswelt. „Weißt du Kay, ich vermisse deinen Papa sehr. Schmerzen vergehen, Erinnerungen bleiben! Aber es war ein wahnsinniger Zufall, Carl begegnet zu sein. Er hat mich aufgefangen und nach dem Unfalltod seiner Frau ähnlich empfunden. Irgendwie fühlten wir uns schicksalsverbunden. Mit ihm kann man Gespräche über das Gestern, Heute, Morgen, Gott und die Welt führen. In seiner Nähe spüre ich Geborgenheit, fühle mich beschützt und als Frau wieder begehrt. So kamen wir uns auch körperlich näher. Ich entdeckte die Gefühle des Verliebt-Seins neu und habe mit ihm Zukunftspläne. Verstehst du das?“
„Mama, ich glaube, ich weiß, was du mir sagen willst. Es gibt einen neuen Partner in deinem Leben, der dir sehr viel bedeutet. Für die Liebe ist es in keinem Alter zu spät.“
„Aber für uns beide momentan wenig praktikabel, unsere Welten sind gegensätzlich, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint.“
„Glücklichsein ist von der Fähigkeit abhängig, mit den Lebensumständen zurechtzukommen!“, entgegnete er.
„Nun stehe ich vor einer Herausforderung, der meine Lebensmaxime nicht zum Opfer fallen dürfen.“ „Und die lauten da?“
„Sei du selbst! Kämpfe für alles Gute! Gib niemals die eigene Familie auf!“
„Starke Frauen meistern ihren Herzensweg! In diesem Sinne gute Nacht liebe Ma, ich bin in Reichweite, wenn du Hilfe brauchst!“ Diese wohltuenden und befreienden Worte haben mich entspannt einschlafen lassen.
In dieser Nacht malten sich meine Gedanken ein Bild von Carl Salomon. „Er ist ein zauberhafter Mensch, ein Ass für den zweiten Frühling. Er ist bereit, für dich die Sterne vom Himmel zu holen!“
Bei seiner Leuchtkraft hätte man glatt den Traumbildern glauben können. Doch die Realität war weitaus komplizierter. Wir tauschten täglich Informationen aus, skypten bei besonderen Anlässen oder griffen beim Aufflackern von Gefühlsnähe zum Telefon. Meine innere Stimme meldete sich: „Kannst du ihm in seine klugen Augen blicken? Fühlst du ihn? Berührst du seine sonnengebräunte Haut? Steigt sein männlicher Duft in deine Nase?“
Fazit: Nähe gab es nicht.
Da ich weder Flugzeug noch einen Pilotenschein besaß, waren die Bedenken vor Ort nicht abzuklären. Die Alarmglocken begannen zu läuten. Ich war bereit, im Regen zu tanzen.
Von Aufregung begleitet, wählte ich die Nummer an, die in meiner Datei an erster Stelle rangierte. Kein Stimmsignal! Das Besetztzeichen trommelte in den Ohren. „Er sitzt bestimmt in einer Lions-Veranstaltung!“, beruhigte ich mich.
Gegen sechs Uhr morgens ließ mich meine innere Uhr aufschrecken: „Wolltest du nicht nach Liebe schreien?“ „Nein, nur nach Annäherung!“, rechtfertigte ich mich. Wie in Trance ließ ich das Licht aufflackern und fingerte nach dem Handy. „Verdammt, viel zu früh für einen Weckruf. Carl ist doch Langschläfer!“, fluchte ich vor mich hin. Gerade wollte ich auflegen, als mich eine Frauenstimme ansäuselte. Sie klang so unverständlich und redete afrikan.
In Sekundenschnelle war ich hellwach, schreckte hoch und bäumte mich in meinem Wasserbett kraftvoll auf. „Großer Gott, was hat das denn zu bedeuten?“, fragte ich mich. „Das war doch nicht Carl, der da antwortete. Eindeutig Frauenstimme! Vielleicht eine Schlafgefährtin?“ Die Befürchtungen stolperten.
„Entschuldigung“, meldete ich mich mit leiser unsicherer Stimme. „Ist Herr Salomon zu sprechen?“ „Wer du, was wollen?“ Fast sprachlos stammelte mein Ich: „Falsch verbunden!“ Ob sein Betthupfer das verstanden hatte oder nicht, war mir schnuppe. Augenblicklich kniff ich meine Augen ganz fest zusammen, um die Tränen zu stoppen. Ein tiefer Seufzer ließ den Körper erbeben. „Aus der Traum vom Männerglück!“, hörte ich das Wimmern. Total durch den Wind, stolperte ich ins Bad. Dort schaufelte ich mir mit zitternden Händen das eiskalte Wasser ins Gesicht, um Gegenwart zu spüren. Mein Spiegelbild zerriss zu einer Fratze der Enttäuschung. „Belogen, betrogen!“, schrie es aus mir heraus.
Beim Kaffeetrinken rang ich nach Frischluft und merkte, wie das dampfende Getränk die Erregung besänftigte. Das bittersüße Liebesbegehren zerplatzte. Meine Knie wurden weich und ich spürte den Herzschlag bis zum Hals pochen. Einsamkeit und Enttäuschung ummantelten mich. Vertrauen, Stolz und Ehre fühlten sich gedemütigt . Die Afrika-Träume zerfielen im Wüstensand. Wenn das Leben fair wäre, würde ich nicht erneut vor einem Abgrund stehen.
Ein sich wiederholender Türgesang half mir, in das Hier und Jetzt zurückzukehren. 7.00 Uhr morgens! Beim Bankersohn Jim trat gemächlich mit Dienstmiene in die Küche und hielt sich an einer Brötchentüte fest. „Guten Morgen beste Mama der Welt, ich möchte mit dir in den Tag starten, bin arbeits- und ziellos!“ „Wo kommst du her?“ ,nach Luft ringend versuchte ich mich zu beruhigen. „Ach setze dich, lass dir die frische Erdbeermarmelade auf der Zunge zergehen und dann beichte mal, was für ein Beben dich aus der Bahn geworfen hat! Ist wohl heute nicht unser Tag!“ Mit angespannten Gesichtern beäugte ein jeder sein Gegenüber und las ihm im Gesicht ab, dass Sorgen den Tag trübten. Endlich schickte ich mich an, das Schweigen und Schmatzen zu unterbrechen.
„Hat die Deutsche Bank in Berlin dicht gemacht? Sind euch die Skandale über den Kopf gewachsen?“ Mein Großer, der stets adrett und perfekt beanzugt war, saß mir ganz lässig in Jeans und T-Shirt vis-a-vis. Beim Kaffeenachgießen reichte ich ihm die Butterdose. „Iss noch, Butter und Honig sind gut für die Nerven! Schieß endlich los und erzähle, was passiert ist. Eine Mutter weiß, wann ihre Kinder unglücklich sind.“
Mein sonst so redegewandter und wortwitziger Tim hatte Mühe, Worte und Gedanken aneinanderzureihen. „Aus der Traum von der Wall-Street-Karriere. Ich habe meinen Job verloren! Verluste, Verkalkulationen, Spekulationen sowie das Zinstief erforderten Stellenabbau. Die Macher bleiben in den Chefsesseln kleben und die Kleinen werden vom Stuhl geschleudert.“ „Klingt nicht gerade zukunftsträchtig, ist aber keinesfalls eine lebensbedrohliche Krankheit. Du bist jung, energiegeladen und zielstrebig, gehe das Risiko der Veränderung ein. Vielleicht ist die Finanzkrise ein Wink des Schicksals. Habe den Mut, neue Wege zu beschreiten!“ „Was willst du mir damit sagen?“ „Weltuntergang war gestern, Zukunft winkt heute. Biete dir vorerst einen Speditionsjob an, später sehen wir weiter!“
„Wäre schon mal eine Verdienstmöglichkeit! Fangen wir klein an, jetzt chauffiere ich dich zum nächsten Termin. Schaust echt aus, als könntest du auch Entlastung gebrauchen!“
„Die Firma läuft, habe nur schlecht geschlafen.“ „Du bist ein Trostpflaster! Eine Frau mit deinen Qualitäten würde ich glatt vom Fleck weg heiraten.“ „Juwelen findet man nicht einfach auf der Straße. Diese wollen entdeckt und zutage gefördert werden.“
Stumm schritten wir gemeinsam in den Firmentrakt, der Arbeit entgegen. Robin stand bereits in der Bürotür: „Guten Morgen Chefin, grüß dich Tim, lange nicht gesehen.“ „Kann sich ändern!“
„Eine kleine Liefertour steht auf der Kippe. Siggi klagt über Magenkrämpfe und hat für heute abgesagt.“ Ohne lange zu überlegen, wechselte ich die Kleidung und hievte mich in den Truck. „Die Fracht muss doch von Hamburg nach Köln, das übernehme ich, werde es wohl noch schaffen! Mein Chefsessel gehört für heute dir!“, rief ich Tim beim Abfahren zu. Dann trat ich das Gaspedal durch und baute den Liebesfrust ab. Plötzlich ein Blitzgewitter! „Verdammt, bist in eine Radarfalle getappt!“, hörte ich mich fluchen.
Irrtum! Das Wetter hatte umgeschlagen und sich meiner Befindlichkeit angepasst. Der Himmel über mir zeichnete eine dramatische Wolkenbildung. Dunkle Fetzen postierten sich vor der Sonne und türmten sich schwarz auf. Blitze zuckten auf und ließen es tüchtig krachen. Die Angst vor dem Ungewissen ließ mich den nächsten Rastplatz ansteuern. Kaum nippte ich an der Kaffeetasse, schon drehte sich das Eifersuchtskarussell. „Hatte Carl eine Geliebte? Waren seine Gefühle mir gegenüber nur gespielt? Verpasste er keine Gelegenheit? War er ein Gigolo, ein Blender? Alles Lüge oder was?“
Mein Gewissen warf mir vor: „Du hast dich zu rasch bei ihm angelehnt! Hast ihm deine Liebe und deinen Körper zu schnell offenbart! Eine Beziehung muss wachsen! Liebe braucht Zeit!“
Der Himmel erhellte sich, mein Blick wurde wieder klarer, entschlossener. Der Vorsatz, Carl auf Eis zu legen, reifte in mir.
Namibia war nicht Carl, Namibia war ein Land voller Schönheit und Geheimnisse. Da gab es ja auch noch meine liebenswerten Freundinnen, mit denen ich für den nächsten November schon verlockende Reisepläne hatten. Mit dieser Vorfreude verwischte ich sämtliche Befürchtungen. Gelassen stellte ich den Truck auf dem Firmengelände ab und schaute noch fix im Büro vorbei. Jim saß in Chefpose am Schreibtisch. „Danke für deinen Einsatz. Hat alles funktioniert?“ Sein Nicken machte mich glücklich.
„Wo bist du eigentlich untergeschlüpft?“, wollte ich noch wissen. „Hotel fürs Erste. Brauche Ruhe und Bedenkzeit!“ „Na dann tschüss bis morgen!“
„Ab unter die Dusche, rein in einen Kuschellook und abschalten!“, befahl ich mir. Danach suchte ich Bequemlichkeit auf der Terrasse und entkorkte einen Spätburgunder vom Rhein.  Nach einem afrikanischen Tropfen stand mir momentan nicht der Sinn. Dazu genoss ich die Notfallpizza und so ganz allmählich fand ich wieder zu mir selbst zurück.
Das Licht der Abendsonne hatte dem Tagesausklang wieder einen hoffnungsvollen Schimmer verliehen. Meine Überlegungen galten Jim. Er hatte Abitur, Hochschulstudium, erste Joberfolge und war doch arbeitslos. So ähnlich erging es einigen in seinem Alter. Ich wäre überaus glücklich, wenn er den Einstieg in die „Baumann-Spedition“ als Perspektive in Betracht ziehen könnte. Schließlich musste meine Nachfolge angepeilt werden.
Bei Kay lief alles bestens. Er und sein Partner konnten nur mit Überstunden das Bedarfsprogramm der Piercing-Fans abdecken. Beiläufig hatte er mir auch zu verstehen gegeben, dass er in festen Händen sei. Klang hoffnungsvoll und ließ Omafreuden aufkommen. Zuversichtlich versank ich im Abendzauber der Sonne. Die Dämmerung legte sich über die Hansestadt und wurde von einem goldenen Schimmer durchbrochen. Aus einzelnen Geschäften flatterten die Leuchtreklamelichter und gaben dem Abend einen Glanz von Frieden und Harmonie.
Erst die Morgendämmerung riss mich aus der dösigen Versonnenheit. Das Tageshell in mein Schlafgemach und die Alltagssorgen brachen erneut auf. Carl hatte gestern mehrmals versucht, mich zu kontaktieren, aber vergebens. Mal überhörte ich das Klingelzeichen, mal ignorierte ich jegliche Benachrichtigungen. Letztendlich zog ich mich in mein Schneckenhaus zurück. Mir fehlte einfach der Mut, mich der Realität zu stellen. „Weichei!“, rügte ich mich.
Während ich „my muesli“ genoss und den heißen Mokka schlürfte, überfiel mich mein Sohn erneut. „Manchmal ist so ein Haustürschlüssel auch ein Schlüssel zum Herzen.“ „Ich denke mal, dir ist noch keine Perspektivlösung eingefallen.“ „Es geht um die eigene Existenz, da kann man nichts überstürzen. Meine Abfindung ist eingegangen, von der könnte ich schon ein paar Monate leben, aber ich brauche Beschäftigung, einen Tagesbefehl, eine Herausforderung! Vielleicht wären Auswandern, auf Weltreise gehen oder Abenteuerurlaub  auch ganz schön!“, scherzte er.
„Momentan könnte ich wirklich Entlastung gebrauchen. Auch bei mir hat sich ein Problem aufgetan, das ich regeln muss. Dazu benötige ich Zeit und einen klaren Kopf.“ In wenigen Worten informierte ich Jim über meine Beziehungskrise. „Liebe bringt Leid! Jetzt weißt du auch, warum ich noch ungebunden bin.“
„Für heute bräuchte ich einen Pistenreiter. Ist dein LKW-Führerschein noch gültig?“ „Natürlich! Viel PS unter der Haube zu haben, ist doch unser Familienfieber.“ „Na, dann kannst du ab sofort für Siggi das Lenkrad übernehmen. Auf geht’s, die Firma schreit nach unserer Schaffenskraft.“
Das Handy ruckelte und zuckelte in meiner Jackentasche. „Bleib stark, stur und unnachgiebig!“, befahl ich meinem Gewissen, während ich den Einschaltknopf drückte. Wichtige und unwichtige Benachrichtigungen und ein mehrfacher Anrufversuch von Carl waren zu lesen. Die Hand schnellte schon zum Display, um den Telefonhörer zu drücken, aber dann schaffte ich es doch, sie zurückzuziehen. Mein Herz schrie: „Ja!“, doch der Verstand sagte: „Nein!“
Eine Woche, vollgestopft mit Aufträgen, verging wie im Fluge. Das Wochenende versprach Entspannung und Zeit zum Nachdenken. Gegen neun Uhr relaxte ich schon mit einem Glas Orangensaft auf der Terrasse, um die letzten Sommersonnenstrahlen auszukosten. Plötzlich Autolärm, ein Taxi stoppte vor dem Firmengelände. Die Beifahrertür öffnete sich und ich erhob mich. Von oben aus sah ich, wie ein paar lederbeschuhte Beine sich zu erden versuchten. Beim Anblick der ehrwürdigen Erscheinung im eleganten Zwirn hörte ich mich sagen: „Jetzt wird die Welt verrückt. Das ist doch Carl, zweifellos! Blaues Hemd, dunkle Haut, gewelltes graumeliertes Haar, sportlich gebaut, mit einem Lächeln um den Mund!“
Eilig sprang ich nach unten, um den Traumtypen zu begrüßen. Völlig irritiert stand ich vor ihm, Wut und Freude durchfluteten mich gleichsam. Carl trat auf mich zu, schloss mich in seine starken Arme. Wie verwurzelt starrte ich ihn an. Meine Blicke blieben an seinen buschigen Augenbrauen hängen und wanderten weiter zu den vollen sinnlichen Lippen, die an den Mundwinkeln nach oben geschoben waren. Ein schelmisches Lächeln spielte um seinen Mund.
"Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg zum Propheten kommen. Was ist los mit der Barbarafrau? Warum warst du in den letzten Tagen nie erreichbar? Gab es Sendeausfälle in Hamburg? Ich habe mir ernsthafte Sorgen um dein Wohlbefinden gemacht.“
Seine Sanftheit und Herzlichkeit verschlugen mir fast die Sprache, oder hatte mich der Überraschungsmoment stumm gemacht? „Du wolltest doch erst im Dezember kommen!“
„Manchmal ändern sich Dinge und Zeiten.“ „War es dir ein Bedürfnis, die Beichte vor Ort abzulegen?“
„Wie? Wo? Was?“
„Lass uns reingehen, die Straße ist kein Austragungsort für Zwistigkeiten.“
„Wovon redet meine Herzensdame eigentlich? Mit wem hast du Ärger?“
Desorientiert ging ich ins Haus und er folgte mir mit fassungsloser Miene. Wie absurd doch alles auf einmal schien. Am liebsten hätte ich Carl den Zutritt zu meiner Wohnung verwehrt und ihm tausend Vorwürfe an den Kopf geschleudert. Aber sein Anblick und sein Charme überrumpelten mich schlagartig. Leise sprangen die Worte aus mir heraus: „Du hast mich betrogen! Du hast eine Geliebte! Du hast mich tief verletzt!“
Ungebeten ließ sich mein Gast in den Sessel plumpsen, nach Luft und Fassung ringend. „Wird hier Theater gespielt? Was sollen diese haltlosen Unterstellungen? Erkläre mir bitte alles!“ „Du bist mir eine Erklärung schuldig, du warst der Täter und ich das Opfer, nur eine süße Romanze.“ „Wovon redest du überhaupt?“, wollte er, recht nervös geworden, wissen. „Setz dich erst einmal und entspann dich und dann erzählst du mir, was dich so ins Herz getroffen hat!“
„Die Frauenstimme an deinem Schlafzimmertelefon vor knapp neun Tagen und mitten in der Nacht. Verdammt noch mal, was sollte ich denn davon halten? Sollte ich dich jetzt fragen, ob sie besser liebt als ich? Müsste ich verstehen, dass du eine Frau in Namibia und eine in Deutschland zur Befriedigung deiner Lust brauchst?“ „Bitte noch einmal ganz langsam und der Reihenfolge nach, denn ich weiß immer noch nicht, was unsere Beziehung kaputt zu machen scheint.“
Seine Worte klangen ehrlich und ließen meine Knie weich werden. In meiner Brust prallten Gegensätze aufeinander. Die Gefühle fuhren Achterbahn.
Sanftmütig legte er seinen Arm um meine Schulter. „Du Dummerchen, ich habe mit keiner anderen Frau geschlafen. Jede Nacht habe ich mir gewünscht, am Morgen neben dir aufzuwachen. Wir gehören zusammen!“
Die Berührung seines Körpers und der männliche Tabakduft, den seine Haut versprühte, fühlten sich mit einem Mal ziemlich gut an. Die lodernde Flamme des Betrogenseins war zur verlöschenden Glut herabgebrannt.
„Liebste Babsi, das muss alles ein Missverständnis sein. Die letzte Frau, die mich im Bett glücklich gemacht hat, warst du. Manchmal verwechselt man Glück mit Vergnügen. Du bist mir wichtig. Du bist der wertvollste Diamant, den ich jemals in den Händen gehalten habe.“
Seine Verteidigungsrede war ein glattes Bekenntnis, dem ich eigentlich nur Vermutungen entgegensetzen konnte. „In diesen Tagen, als du mich angerufen hast, war mein Schlafgemach vergeben. Du hast mit Maria, der Frau meines Bruders Konrad gesprochen. Sie stammt aus Namibia und lehnt es manchmal ab, deutsch zu kommunizieren, einfach aus Landesstolz. Konrad war darum bemüht, bei einem Herzspezialisten in Swakopmund einen OP-Termin zu bekomme. Bei ihnen in Pretoria gibt es keine renommierten Herzchirurgen. Im Überraschungseffekt habe ich versäumt, dir von dem Blitzbesuch zu erzählen. Weißt du Schatz, Maria ist eine Frau, die immer im Trend gekleidet erscheint. Ihr Reisekoffer ist überdimensional und braucht viel Kleiderschrank. Du kennst das doch."
Jetzt mussten wir beide lachen und mein Verhalten kam mir kindisch vor. Wie das Leben so spielt! Nun ergriff ich die Wiedergutmachungsinitiative, entkorkte einen Versöhnungssekt und leistete Abbitte. „Ich denke, wir müssen in Sachen Beziehung noch einiges festlegen. Heutzutage funktionieren hunderte von Fernverbindungen, auch im Liebesleben. Mit zunehmendem Alter ist man nicht mehr so wild auf Sex, man bevorzugt den Genuss.“
Nur durch ihn war in mir auf wundersame Weise die Liebe zu einem Partner wieder aufgebrochen. Da auch er sein eigener Arbeitgeber war, beschlossen wir einen Liebesurlaub in Hamburg. „Für eine Woche lassen wir unsere Söhne mal Verantwortung tragen. Auch unsere Familien sollten sich näher kommen, denn die Vergangenheit ist schon ein Spiel des Schicksals. Ich mache dich mit dem neuen Hamburg und dem deutschen Alltag vertraut, vielleicht denkst du ja mal über Rückkehr nach! Wusstest du eigentlich, dass unsere Stadt mehr Brücken als Venedig hat?“ Jetzt staunte mein Carl. „Das kann ich nicht glauben, aber wir werden es herausfinden.“
Als der Mann meiner Träume sich zurückgezogen hatte, um Heimatgespräche zu führen, kontaktierte ich Jim. „Hallo Großer, hast du noch Lust auf Familienunternehmen oder würdest du lieber abtauchen? Muss es jetzt wissen, da ich gerne für eine Woche frei machen möchte. Habe unverhofft Besuch bekommen, ein Gast, der mir sehr am Herzen liegt.“
„Kommt er zufällig aus Namibia und heißt Salomon?“ „Hellseher, ja, meine Namibialiebe ist hier!“, jubelte ich. „Freut mich! Bin bereit, für dich die Verantwortung zu übernehmen. Habe festgestellt, dass der Elan von Familiengenen angekurbelt wird. Warte auf deine Anweisungen!“ „Super! Besprechen alles morgen früh sieben Uhr!“
Im Versöhnungsrausch verbrachten wir die gemeinsame Nacht, die ein Gespür von erotischer Anziehungskraft aufkommen ließ und jegliche Zweifel zu Luftblasen verpuffte. Am Horizont leuchtete wieder ein Licht, Carl und Namibia warteten auf mich.
Gleich nach dem Frühstück fuhren wir ins „Lindner Hotel“, um sein Gepäck abzuholen. „Es ist mir  ein Bedürfnis, dort auszuchecken, denn bei dir fühle ich mich heimischer.“
Das war ein super Bekenntnis. In der Suite angekommen, begann Carl sofort, die Morgentoilette zu vollenden, streifte sich ein frisches Hemd über und packte seine Sachen. Nun trat er behutsam auf mich zu, küsste meinen Hals, die Lippen und ergoss einen Wall von Zärtlichkeiten über meinem Gesicht. Dann trat er wieder zurück, um ein Geheimnis zu lüften.
„Schließe bitte deine wunderschönen Augen!“ Behutsam fasste er meine Hände und führte mich ins spürbar Leere. Als ich in den Flurspiegel schaute, strahlte ich wie die Sonne. Meinen Hals zierte eine außergewöhnliche Goldkette. Ein Unikat, gefertigt von seinen eigenen Händen. In der Figur des Schutzengels war das Spiel von Licht und Schatten in Gold sichtbar, einfach bedeutungsvoll.
„Ein wahres Meisterwerk der Kunst!“, staunte ich. „Danke für das Kompliment. Du weißt doch, ich arbeite mit Herzblut, mit Steinen, Edelmetallen und ganz viel Liebe! Betrachte das Schmuckstück als Treuebeweis für die Frau, die mein Herz erobert hat!“
Völlig baff schlussfolgerte ich: „Alles im Leben scheint seine Bestimmung zu haben, die man leider hin und wieder zu spät erkennt.“ „Ich spürte schon beim Klassentreffen, dass sich zwischen uns ein unsichtbares Band gewoben hatte.“
Auf der Rückfahrt zum Speditionsgelände begann ich bereits, Carl das moderne Hamburg zu zeigen. Er bestaunte Gebäude, Plätze und auch Gassen, die das Stadtbild prägten. Schon als wir aufbrachen, war er recht euphorisiert. „Hier scheint das Leben an sämtlichen Ecken und Enden zu pulsieren. Überall regt und bewegt sich etwas. Wir befinden uns am Tor zur Welt. Wenn es doch in Namibia auch so aufschwungsfreudig vorwärts gehen würde.“
In einem Fischrestaurant, an der Alster gelegen, genossen wir Lachs vom Feinsten und gaben uns den weiteren Genüssen hin. Carl, vor Faszination sprühend, kaufte sich hier und da eine Info-Lektüre, in die er sich am Nachmittag vertiefte.
Vom Näherkommen inspiriert, blätterten wir an diesem Abend in den Dokumenten der Vergangenheit und wälzten Fotoalben. Es freute mich, dass Carl sichtlich interessiert an meinem bisherigen Leben war.
„Imposant am Ostseestrand! Bist du das? Dein Mann war ja ein Schönling! Ihr scheint das Meer genauso zu lieben wie die Salomons. Echt eine Gemeinsamkeit!“
Ich war in Erinnerungen abgedriftet und vernahm seine Worte wie eine Stimme aus der Ferne. Im Verlauf des weiteren Abends schwebte jeder von uns in familiären, teils verflossenen Erinnerungen.
„Da du ja viel Morgenschlaf brauchst, bevor sich deine Kreativität entblättert, werde ich zeitig ins Büro abdriften und für etwa zwei Stunden den Steuerknopf in die Hände nehmen. Danach frühstücken wir gemeinsam und dann geht es auf Stadttour. Wäre dir dieses Tagesprogramm recht?“
Mein Namibia-Gast drehte sinnend an seinem goldenen Siegelring mit den Initialen C.S. und fragte: „Wieviel Wünsche habe ich frei?“ „Drei, genau wie im Märchen!“ „Mit dir zusammen zu sein, ist ja schon märchenhaft.“, schmeichelte er mir. „Ich bin begierig darauf, deine Söhne kennen zu lernen. Ich bin neugierig auf deine Arbeitswelt und deine Verantwortung, der du dich täglich stellen musst. Verzaubere mich von Hamburg!“
„Das klingt ja wie ein Forderungskatalog. Da muss ich wohl mein ganzes Logistikwissen aufbieten, um deinen Ansprüchen gerecht werden zu können.“
Ein Gefühl der Herausforderung umfing mich. In Namibia hatte mir Carl seine Welt zu Füßen gelegt, nun war für mich der Zeitpunkt gekommen, ihm das Leben in Deutschland schmackhaft zu machen.
„Vielleicht könnte meine Heimat auch wieder die deine werden. Bei uns lässt es sich weitaus angenehmer leben. Die soziale Absicherung im Alter steht auf höchstem Niveau. Freiheit, Demokratie und Wohlstand sind garantiert. Niemand muss hungern oder Bildungsängste ausstehen. Jeder hat ein Recht auf ein menschenwürdiges Dasein. Hier sind wir im Fahrwasser des Fortschritts, während eure schwarzen Machthaber erst im Begriff sind, den Inhalt dieses Wortes zu verstehen. Wer weiß, ob sie jemals erfahren, was ein Sozialamt ist und Hartz IV bedeutet.“, versuchte ich, ihn zu umgarnen.  
Im Lauf der Woche führte ich meinen Gast überall dorthin, wo es Glanzpunkte gab, zum Hafen, auf den Fischmarkt und durch die Speicherstadt. Bei der Hafenrundfahrt flackerte plötzlich auch bei Carl Heimatverbundenheit auf. „In Hamburg strecken sich die Kais wie hellgraue Tentakel ins blaue Meer. Handelsschiffe hinterlassen weiße Fahrspuren. Segeljachten, luxeriös aber auch bescheiden, ziehen mit aufgeblähten Segeln ihre Spaßbahnen, fast wie damals. Alles ist nur viel moderner und größer geworden!“ Dann hafteten sein Blick an den Hochhäusern, die sich im Hintergrund gen Himmel reckten. „Einfach gigantisch diese Wohnkulisse!“
Natürlich flanierten wir auch auf der Reeperbahn. „Nicht nur nachts um halb eins ist dieser Stadtteil Sankt Pauli voller Faszination. Ein Mix aus Erotik, Spaß, Kultur und Kunst lockt täglich tausende Show- und Vergnügungslustige an.“
„Die Attraktion schlechthin sind doch wohl die zahlreichen Kultkneipen. Wie ich weiß, nahmen die Karriere von Hans Albers und den Beatles genau hier ihren Anfang!“
Bei einem Alsterspaziergang ,Hand in Hand, bemerkte mein Begleiter: „Es wird mir wohl sehr schwer fallen, dich vom Nabel der Welt in mein Namibia zu entführen.“
Diplomatisch überging ich seine Bemerkung.
Als ich am Donnerstag den Morgenstress, die Telefonate und Auftragsbesprechung mit Jim abgeschüttelt hatte, entdeckte ich Carl vor der Bücherwand im Arbeitszimmer. Drei Werke lagen verstreut auf der Tischplatte. Er musste wohl darin geblättert haben. Interessiert warf ich einen Blick auf eines der Bücher: „Shakespeare – Romeo und Julia“. Schmunzelnd begrüßte ich ihn mit Morgenkuss. „Einen deutschen guten Morgen mein Romeo, deine Julia ist jetzt für dich frei!“
„Ich fühle mich überglücklich. Darf ich um deine Hand bitten?“ Galant geleitete er mich zum Frühstückstisch, der fürstlich gedeckt war. Kaffeeduft lag im Raum und Tränen der Rührung kullerten über meine geröteten Wangen.
„Es ist schon eine Ewigkeit her, dass mich ein Mann so verwöhnt hat.“
„In unserem Alter sollte man seine Tage mit Bedacht genießen, denn das Lebensband wird immer kürzer.“, philosophierte er.
Zwei Tage vor Carls Abreise stand der Familienabend an. Nach den Erzählungen war die Begegnung geplant, Partytime, Kennenlernvergnügen, aber vielleicht auch ein Wagnis. Es sollte alles recht gemütlich im Hause Baumann ablaufen, denn mit Mann Nummer drei an meiner Seite änderte sich die Lebenskonstellation. Würden Kay und Tim einen Draht zu ihrem Nichtvater finden? Würden sie meine Entscheidung für einen Neuanfang akzeptieren? Würden sie vielleicht sogar glauben, dass ihre Erbschaft in Gefahr wäre? Glücklicherweise rissen mich zwei Partyservice-Boys aus den Befürchtungen. Der Countdown lief, wir speisten vorzüglich, redeten über tausend Dinge und verglichen das Leben an beiden Enden der Welt miteinander. Ein Zusammensein voller Harmonie und Wertschätzung!
„Dein Namibier ist ein großartiger Mensch, lebensfroh, weltoffen, realistisch und vertrauenswürdig, nur leider kein Deutscher mehr.“, resümierte Jim tags darauf.
Kay betrachtete unsere Beziehung ganz locker. Er fand es gut, dass wir nicht gleich von Heirat und Zusammenleben sprachen. „Ihr lebt in zwei wunderbaren Welten, erforscht sie, genießt die Zweisamkeit, aber fesselt euch nicht!“
Erlebnisreiche Tage und aufregende erotische Nächte lagen hinter uns, auch die letze war ein Fest der Sinne. Wir liebten uns mit Zurückhaltung und dann mal wieder mit wilder Begierde, ein Geben und ein Nehmen, danach schliefen wir eng aneinandergekuschelt ein. Uns beiden war schon bewusst, dass es eine große Weile dauern würde, bis wir wieder Nähe spüren könnten.
Abschiedsschmerz zeichnete unsere Gesichter, als wir auf dem  Hamburger Flughafen ankamen.
„Du hörst täglich von mir, versprochen! Gleich wenn ich in Swakop bin, regele ich mit Rosi, Hanna und Mia meine Safaribegleitung. Man kann euch Frauen doch nicht alleine in die Wildnis reisen lassen! Adieu mein Babsi-Schatz!“
Im Abschiedskuss vereint, flüsterte ich: „Ich liebe ganz Namibia und ganz besonders dich. Hoffentlich nicht nur ein Sommernachtstraum!“ Wenige Minuten später flog dieser fürs erste davon.
Die Zeit der Wiedersehensfreude wurde durch ein unerwartetes Ereignis aufgemischt. Diesmal war es mein Tattoosohn Kay, der für Überraschung sorgte. „Hallo Mama, habe Neuigkeiten zu verkünden, komme doch morgen gegen 16.00 Uhr bei uns vorbei auf einen Kaffeeplausch. Wäre uns wichtig und wir würden uns freuen.“, so lautete die Ansage.
Familie hatte Priorität, deshalb verließ ich vorzeitig das Büro und machte mich auf den Weg zum Studio.
„Mensch Sohnemann, deine Junggesellenbude ist ja recht gemütlich geworden. Seit du mit Prad eine WG gegründet hast, war ich ja noch gar nicht hier. Wohnkultur vom Feinsten, hochwertiges Mobiliar, weiße Lederpolsterecke, urig bequem, viel Komfort und Elektronik!“, lobte ich.
Der Tisch war stilvoll gedeckt, Damastdecke, Servietten, Käsetorte und sogar ein Schälchen Sahne stand neben dem Milchkännchen.
„Das wirkt ja richtig feierlich! Gibt es einen besonderen Anlass? Wer hat denn den leckeren Kuchen gebacken, schaut ganz nach Eigenproduktion aus?“ „Der Kuchenbäcker war ich! Herzlich willkommen Frau Baumann!“, entgegnete Prad.
„Toll, dass ihr mich mal eingeladen habt. Wie ich sehe, geht es euch beiden bestens. Schön, dass euer Geschäft so gut floriert.“
„Wir sind happy, privat und beruflich!“, versicherte Kay. Nun fiel ihm sein Mitbewohner ins Wort: „Liebe Barbara, da du ja weißt, dass meine Eltern nicht mehr an meiner Seite stehen, möchten wir dich mit als erste in unsere Lebenspläne einweihen. Kay und ich, wir lieben uns, innig und von ganzem Herzen.“
Ich verstummte!
„Mama, wir haben uns geoutet und möchten Weihnachten heiraten. Mit uns passt das bestens. Die Feier soll im kleinsten Rahmen stattfinden. Wir wollen kein Aufsehen erregen und alles an die große Glocke hängen. Prad will mir gerne in seiner Heimatstadt München das Ja-Wort geben.“ „Ehrlich Jungs, jetzt ich bin ich aber baff und total überrascht! Aber es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als eure Absicht zu respektieren und mich mit der neuen Situation vertraut zu machen."
Wie ernst es ihnen mit der Beziehung war, wurde mir erst zu Hause bewusst. Ihr beider Leben verlief bisher erfolgreich, sie harmonierten bestens miteinander, hatten ein schönes Zuhause und schienen glücklich zu sein. Was konnte man mehr von einer Partnerschaft erwarten? Es passte! Mit diesen Gedanken wurden meine Großmutterhoffnungen erst einmal ins Abseits gedrängt.