Fotostudio Drost |
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2. ERMITTLUNGEN ENDEN IM NICHS
Im
Polizeipräsidium angekommen, ohne jegliche Spaßspuren auf den Wangen, wurde uns
mitgeteilt, dass die Landespolizeiinspektion Nordhausen (LKA), die für unseren
Bereich zuständig ist, sich mit eingeschaltet hatte. So hoffte man, die
Ermittlungen mit vereinten Kräften beschleunigen zu können. Hauptkommissar
Götz, Ina Richter und Ben Winkler, mit denen wir schon Nachtbekanntschaft
gemacht hatten, erwarteten uns bereits mit Ungeduld. Sie schauten so aus, als
hätten sie sich in ihren Amtsstuben die ganze Nacht an der Kaffeetasse
festgehalten, die noch an ihren Fingern klebte. Völlig abgespannt und übermüdet
traten sie uns entgegen.
„Guten
Tag, danke dass Sie erschienen sind. Wir werdenjeden einzeln befragen, bitte
warten Sie, bis man Sie aufruft.“
Ich
ließ mich neben Lucy in den Stuhl plumpsen. „Hey, Truckerlady, bist du wieder
okay und hast du dich inzwischen ausgereihert?“ Ein gedehntes „Ja!“ sprang über
ihre Lippen, die gestern noch wundervoll geschminkt lachten. „Schaust aber
immer noch wie ein Käsekuchen mit Mund- und Augenrosinen aus!“ Mit ihrem
Schweigen erteilte sie mir eine klare Abfuhr.
Beleidigt
rückte ich zu unserem Fabian rüber. „Mensch Junge, so beherzt wie du gestern
Erste Hilfe geleistet hast, hätte nicht jeder reagieren können. Echt tapfer von
dir! Respekt!“ Er blickte mit großen grünen Augen auf mich. „Ist doch
Bürgerpflicht!“
Nach
diesen kurzen Gesprächen liefen wir ungewollt in verschiedene Richtungen,
lediglich Maren und Tim klammerten noch aneinander. Es war schwer auszumachen,
wer bei wem Halt suchte.
Unsere
Personaldaten wurden noch einmal abgeglichen. Die Fragen waren identisch.
„Haben Sie relevante Beobachtungen gemacht, die Ihnen in der letzten Nacht noch unwichtig erschienen? Wer war zuerst am
Tatort? Wo hielten Sie sich genau zum Tatzeitpunkt auf? Sind Sie vorbestraft?“
Hauptkommissar
Jannik Götz stellte uns zum Abschluss das Ermittlerteam vor. „Meine beiden Kollegen
Richter und Winkler kennen Sie bereits Das LKA hat uns noch Oberkommissar Leo
Kox zur Unterstützung geschickt. Sie können sich jederzeit an uns wenden, wenn bei
Ihnen noch wichtige Hinweise aufflackern. In erster Linie geht es uns darum,
die Personalien der Frau zu ermitteln. Die Vermisstenmeldung an die Medien ist
bereits vor einer Stunde rausgegangen. Unsere Beamten durchkämmen die
Nachbarschaft und schicken Streifenpolizisten von Tür zu Tür entlang der Stadtmauerwohnungen.
Wir brauchen Anhaltspunkte. Keiner ist ein Niemand! Jeder hat eine Identität.
Danke
für Ihre Aussagen, bitte lesen Sie sich die Protokolle noch einmal durch und
bestätigen Sie die Angaben mit Ihrer Unterschrift. Das war’s dann für heute. Es
kann aber durchaus passieren, dass wir Ihre Hilfe noch einmal benötigen, denn
die kriminaltechnischen Untersuchungen dauern ebenfalls noch an. In den
vorläufigen Pathologiebericht haben wir lediglich Einsicht genommen. Wir
erhielten die Bestätigung dafür, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelt. Es
liegen nachweisbare Spuren von Gewaltanwendung vor. Man kann aber davon
ausgehen, dass es sowohl ein Raubmord, als auch eine Tat mit sexuellem
Hintergrund gewesen sein könnte. Der Todeszeitpunkt ist um Mitternacht
anzunehmen. Der Fundort hat sich als Tatort bestätigt.
Warum
erzähle ich Ihnen wohl diese Details? Momentan haben wir nur sehr wenig
Anhaltspunkte und Spuren. Da es sich definitiv um einen Mordfall handelt, muss
es auch einen Mörder geben, genau diesen werden wir ermitteln. Dabei sind wir
auf jeden Hinweis von Beteiligten angewiesen.
Versuchen
Sie, Ihren Alltag wieder aufzunehmen. Danke für das kooperative Verhalten. Auf
Wiedersehen!“
Aufgewühlten
Gemüts und pochenden Herzens gingen wir auseinander, so, als wollte jeder vom
fliehen.
Tags
darauf erschreckten zwei Zeitungsmeldungen die Menschen in Thüringer und wahrscheinlich
auch die Leser vielerorts in Deutschland. Überregional wurde von einer
Kirmesleiche in Heiligenstadt / Thüringen berichtet und es erschien eine
Fahndungsmeldung mit dem Foto des Opfers.
LKA
Thüringen, Heiligenstadt
FAHNDUNG: „Unbekannte Tote wurde
nach dem Kirmesvergnügen am Pfingstmontag in Heiligenstadt aufgefunden. Die
Person ist zwischen 23 und 30 Jahre alt, hat eine schlanke, aber frauliche
Figur, mittellange schwarze Haare und einen dunklen Teint. Sie trug zum
Tatzeitpunkt ein olivgrünes Ballonkleid, schwarze Leggins und Pumps. Auffallend
waren der leuchtend rote Lippenstift sowie das dazu passende Schaltuch. Die Frau
hatte weder Handtasche noch Papiere bei sich. Wer kann Angaben zu der abgelichteten
Person machen? Wer kennt oder vermisst das Opfer? Meldungen nehmen sämtliche
Polizeidienststellen entgegen!“
Das
Foto zeigte das Gesicht der Unbekannten in einem normalen Zustand. Wir hatten
sie leicht zerzaust und lippenstiftverwischt vorgefunden.
Nun
war die sonst so angenehme Ruhe, die über unserem idyllischen Städtchen lag,
auf einmal wie zerrissen. Es wurde getuschelt, geklatscht und individuell
ermittelt. Jeder stellte so seine Vermutungen an und tat so, als würde ihm dazu
etwas einfallen. Eins stand für die kleinbürgerlich denkende Stadtgesellschaft
fest: Opfer und auch Täter waren keine von hier! Weil niemand die Tote zu
kennen schien und man dem ach so netten und redlichen Mitbürger keinen
Gewaltmord anhaftete, kam nur ein Fremder in Betracht.
Die
meisten angeblichen Zeugenaussagen erwiesen sich als ein Sich-in-Szene-Setzen.
Mittwoch,
im Laufe des Vormittages, rief mich mein fast Schwager Tim aus Duderstadt an.
„Hallo Ron, wie geht es dir, die Gefühlswelt wieder im Lot? Schließlich sollte
es dein Freudentag werden. Kaum zu glauben, aber wahr, was da zum Kirchweihfest
Unchristliches vorgefallen ist und das in eurem päpstlich gesegneten Thüringen!
Manchmal versteht man die Welt einfach nicht mehr! Du kennst die Mädels und
Jungen aus der Firma privat doch besser als unsereins. Sicher kannst auch du
dir nicht vorstellen, dass einer von uns etwas mit dem Mord zu tun hat.“ „Ich
bin mir da sogar ganz sicher. Wir haben nichts zu befürchten.“
„Richte
Maren bitte aus, dass ich sie in einer halben Stunde abhole!“ „Mache ich!“
„Nach
dem plötzlichen Schlaganfalltod meines Vaters standen Mutter, Maren und ich
unentschlossen vor dem Familienbesitz in dritter Generation. Aufgebaut wurde
die Firma „Hauser Farb-und Fassadenprofis“ von Urgroßvater August, der damals
die Malerwerkstatt gründete. Heute ist daraus ein modernes Unternehmen
geworden. Ein Team mit sechs Leuten, Mama im Büro, Maren im Kreativbereich und
ich sorge für die Auftragslage. Wir sind leistungsstark, zuverlässig und lesen
den Kunden die Wünsche von den Augen ab. Unsere weißen Westen konnte die Kripo
nicht schwärzen, das stand fest!“, schoss es mir durch den Kopf.
Genau
um 14.00 Uhr betraten wir das Büro von Hauptkommissar Götz, in dem auch Kox auf
uns lauerte. Ein Dr. Leo Süß wurde uns als Staatsanwalt des Falles vorgestellt.
„Guten
Tag, Ihr Erscheinen wird uns hoffentlich helfen, etwas Licht in das Dunkel der
Ermittlungen zu bringen, in dem wir leider noch tappen. Uns ist es jetzt erst
einmal wichtig, die Tatverdachtsfrage zu klären, damit wir ausschließen können,
dass Sie bzw. ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterhin zum Kreise der
von Amts wegen tatverdächtigen Personen zählen. Für uns ist zu Beginn eines Falles
erst einmal jeder in Verdacht, der mit der Leiche zu tun hatte bzw. am Tatort
war!“
Kox
hockte auf der Rückenlehne von einem der Stühle in lässiger Haltung, als er
redete. Götz saß an seinem Schreibtisch, die Hände seitlich an den Kopf gelegt,
so als würde seine Denkmaschine auf Hochtouren arbeiten. Der Vertreter der
Staatsanwaltschaft massierte sich die Schläfen, weil diese anonyme Tote auch
ihm Kopfzerbrechen bereitete. Was für Schritte konnte man schon unternehmen,
wenn man nicht einmal wusste, auf welchem Wege man sich befand. Dr. Süß hatte
einen Schreibblock und einen Kugelschreiber vor sich liegen, begierig darauf,
Fakten aus uns rauszuholen. Der Raum war klein und weiß getüncht, genauso
leblos wie die Frauenleiche, wegen der wir anwesend waren.
„Unsere
bisherigen Untersuchungen haben ergeben, dass die Person erwürgt wurde. Durch
das Zusammendrücken des Halses mit einem Schaltuch, das wir am Körper der Frau
fanden, leider ohne Spuren. Sie ist regelrecht erstickt worden. Der Täter muss
Handschuhe getragen haben. Würgemale am Hals und der Bruch des Zungenbeins sind
der Beweis für die Todesursache. Wir gehen davon aus, dass der Mörder männlich
ist. Die Würgestreifen liegen tief, was von einem Kraftakt zeugt. Frauenhände
können kaum eine derartige Spur hinterlassen.
Da
die Tote nur billigen Modeschmuck trug, glauben wir, dass auch in ihren Taschen
nichts außerordentlich Wertvolles steckte, d.h. Raubmord wäre abwegig. Ein
Suizid durch Erwürgen ist unmöglich, einfach nicht praktikabel. Minimale Hautabschürfungen
und leichte Kratzerverletzungen lassen auf Gegenwehr schließen. Wir haben es
also mit einem Gewaltverbrechen zu tun, begangen von einem Mann, wahrscheinlich
mit sexuellen Absichten. Aus diesen eben aufgeführten Gründen müssen wir die
Alibis sämtlicher Zeugen genauestens überprüfen. Dazu brauchen wir Ihre
Mitarbeit.“
Innerlich
erneut in Entsetzen geraten, mit fassungsloser Miene, begannen wir auf unseren
Stühlen hin und her zu rutschen.“
„Ein
furchtbarer Fall, der viel Unruhe verbreiten wird. Da gibt es eine Mutter, die
nicht einmal weiß, dass man ihr Kind grausam getötet hat. Andere Frauen bangen
von nun an um ihre Töchter, die im Dunkel der Nacht unterwegs sind. Manche
trauen sich vielleicht abends gar nicht mehr alleine auf die Straße. Soweit
darf es nicht kommen. Wir müssen für Sicherheit sorgen, das heißt wiederum, den
Täter schnellstens überführen!“, mahnte Kox unser Gewissen.
Mich
anvisierend ließ Jannik verlauten: „Deshalb sind wir auf Ihre Ehrlichkeit und
Mithilfe angewiesen. Scheuen Sie sich nicht davor, irgendwelche Bedenken
auszuspucken. Reden Sie über alles und jeden, der Ihnen Kopfzerbrechen
bereitet. Dann können wir immer noch festlegen, was davon ins Protokoll kommt
und was nicht. Hätte jemand von ihren Angestellten ein Motiv haben können?
Trauen Sie einem der Männer diese Tat zu? Gibt es bestimmte Lebensumstände, die
jemanden zum Gewaltverbrecher werden lassen könnten? Neigt einer der Leute zur
Gewalt oder hat jemand ein besonders abwechslungsreiches Sexualleben? Alle
diese Fragen interessieren uns brennend.“
Nun
wurden wir erbarmungslos und ganz persönlich ins Verhör genommen. Vox entführte
Klaus und Götz nahm mich ins Visier der Ermittlungen.
„Herr
Richter, ich möchte Sie zuerst für das Vernehmungsprotokoll fragen, wo Sie sich
in der Nacht vom 28. zum 29. Mai 2016 zwischen 23.30 Uhr und 0.30 Uhr
aufgehalten haben.“ Die Antwort hatte ich mir schon zurechtgelegt“
„Auf
der Spaßmeile! Brauhausplatz! Als auf
dem Klausberg nur noch gedrängelt und geschubst wurde, die neu restaurierte
Kirche Pinkeltaufe bekam, die Bierbestellung immer länger dauerte und wir von Mal
zu Mal unternehmungslustiger wurden, suchten wir auf dem Rummelplatz
Showvergnügen. Der einzige, der sitzen geblieben ist, war Manni.
Als
wir uns dort in das Kirmesgetümmel stürzten, schlug uns ein höllischer Lärm
entgegen. Flackernde bunte Lichterketten brachten uns ins Schweben und wir
begannen, uns von den Lockrufen der Schausteller einfangen zu lassen. Rasch
kauften wir uns zu zweit, zu dritt oder wie Fabian alleine, Spaßkarten. Die
Mitternachtsparty tobte. Eine ganze Zeit später vermissten wir David, der sich,
wie sich danach herausstellte, zum Flirten abgesetzt hatten. Der Jüngste in
unserer Truppe, Fabian, meldete sich vorzeitig ab, weil er unbedingt noch ein
Eierkettensouvenir ergattern wollte. Lucy traf eine Bekannte, mit der sie sich
zum Schwatz absetzte. Maren, Tim und ich schlenderten gemeinsam durch das
Kirmesvergnügen. Kurz vor zwei Uhr waren wir dann wieder am Klausberg vereint,
wo ich das Partyende für angebracht hielt. Ich bestellte den Taxibus und wir
zogen gemeinsam zum Treffpunkt obere Wilhelmstraße. Auf dem Weg dorthin
erschreckten Maren und Tim zuerst vor der leblosen Frauengestalt, die in einer
Stadtmauernische kauerte. Danach nahm die Polizei das Geschehen unter Kontrolle.
Für meine Truppe verbürge ich mich. Von
denen wäre niemand zum Morden fähig gewesen. Wann denn auch?“
„Darf
ich das alles im Protokoll vermerken?“ „Aber selbstverständlich! Da ich mich für die Geburtstagsgäste verantwortlich
fühlte, habe ich mehr mit gespaßt als getrunken!“ „Danke für Ihre Aussage, wir
überprüfen das!“
Ich
wurde entlassen, fühlte mich aber längst noch nicht befreit!
„Die
Zeit bleibt niemals stehen und das Leben nimmt unaufhaltsam seinen Lauf, in
glücklichen wie in trübsinnigen Tagen.“, verkündete mir mein Bewusstsein.
Die
Pfingstferien gingen dahin, und wir nahmen unsere Arbeit in der Firma wieder
auf. Lediglich Maren und Tim hatten sich eine Auszeit genommen, um
Hochzeitspläne zu schmieden.
Kaum
hatte ich mir ein Kaffeepäuschen gegönnt, hielten mich zwei Gedankengänge der
Kripoleute wiederholt gefangen und klangen in meinen Hörmuscheln. „Wem trauen
Sie einen Mord zu? Wer hätte ein Motiv gehabt?“ Ich verfügte über kein
kriminelles Superhirn, weil ich nur selten zum Unterhaltungsroman griff oder
mir einen Krimi reinzog. Bikerzeitschriften gehörten zu meiner Monatslektüre.
Ganz
plötzlich drängte es mich an die frische Luft, weil mir das lockere Durchatmen
mit einem Mal schwer fiel, Herzbeklemmung machte sich breit. Um den Kopf frei
zu bekommen, schwang ich mich auf das Motorrad, ließ mir Sonne, Wind und
Regentropfen im Gesicht herumtanzen und suchte das Gefühl der Zufriedenheit,
das ich am ehesten in der freien Natur fand, mal als Raser, mal als Genießer.
In
den Wintermonaten bastelte ich an meiner Karre rum. Es gab immer ein Teil
nachzurüsten oder auszuwechseln. Manchmal tourte ich auch mit einer hübschen
Braut durch die Gegend, aber es gab da keine Dauerpuppe. Frauen kosten viel
Zeit, Geld und Feingefühl, wie ich von Maren wusste. Mit Gewalt musste ich mir
keine nehmen. Definitiv stand hundertfünfzigprozentig fest, dass ich nicht der
Täter war.
Meine Mörder- und Verdächtigungsanalyse
schweifte weiter zu Manni, dem Ruhepol in unsrer Firma. Eigentlich hatte man
ihn auf den Namen Manfred getauft, aber aufgrund seiner fast 140 kg
Körpermasse, die er auf die Waage brachte, hatten wir ihm ganz freundschaftlich
einen Spitznamen verpasst. Der Bär von einem Mann war ein echter Haudegen, der
vor nichts und niemandem zurückschreckte, es sei denn, eine Uniform stoppte
ihn. Er packte überall mit an, schlichtete so manchen Streit und liebte sein
Feierabendbierchen, ein gutes Essen, den Fernsehapparat und das Hotel Mama. Er
galt als gemütlich, gewissenhaft und ehrlich. Manni war eine Seele von Mensch
und hatte das Herz am rechten Fleck. Nicht einmal eine Spinne hätte er
zertreten können. Statt ein Leben auf der Überholspur zu führen, kehrte er den
In-sich-Ruhenden heraus. Mit dem Profil einer Eiche und dem Wohlwollen eines
Samariters konnte er keinem etwas zuleide tun. Seine beiden Hände umschlossen
zum Tatzeitpunkt lediglich den Kirmesschoppen, keinesfalls einen zarten
Frauenhals. Für ihn würde ich sogar
bürgen.
„David
ein Frauenmörder, das klang utopisch. Er war überglücklich verheiratet, stolz
auf seine zwei Söhne und liebte die Familie mehr als den Beruf. War er
unterwegs, lachte ihn das Foto von seiner Frau und den Kindern überall an. War
er zu Hause, verbrachte er jede freie Minute mit seinen Lieben. An diesem Kirmestag
hat er ein Wenig geschäkert, na und? Alkohol lockert das Gemüt! Außerdem waren die Kolleginnen und Kumpels fast
immer an seiner Seite. Er wohnte im gleichen Ort wie Lucy, hatte sie am Anfang
als neue Nachbarin zu sich eingeladen und ihr auch später den Job in unserer
Firma vermittelt. Obwohl die Neue ein Rasseweib war, hatte er sie nie mit
begehrenswerten Blicken beäugt. In diesem Familienvater schlummerte nichts Böses,
dessen war ich mir gewiss und schon gar kein Mörder.
Fabian,
ein Neuling in jeder Hinsicht, unerfahren im Berufsalltag, war noch auf der
Suche nach sich selbst. Er hatte ein Kunststudium abgebrochen, weil ihm die
Kohle fehlte. Nun wollte er sich als Handwerker ausbilden lassen und hoffte,
seine künstlerische Ader weiterhin in Szene setzen zu können. Mit seinen
genialen Gestaltungsideen bereicherte er meine Angebotspalette.
Unser
Jüngster war stets auf Hochfrequenz und für die Liebe schon ganz schön reif. Seine
familiäre Lebenssituation schien inzwischen zum Dorfskandal in der kaum
300-Seelen-Gemeinde Wahlhauen geworden zu sein, weil er glücklich und
unverblümt mit seinem Freund Jonny die Wohnung im elterlichen Haus teilte. Ohne
große Worte über diese Beziehung zu verlieren, wurde er uns ein sympathischer
Kollege. Die Annahme, dieser schwule Junge könnte zum Gewalttäter werden, war
einfach absurd. Er hätte es lediglich gewagt, unbemerkt Eiergirlanden mitgehen
zu lassen. Nur aus diesem Grund hatte er sich in der Leichenfundnacht früher
auf den Weg gemacht. Auch dieses Täterprofil war gegensätzlich.
Tim,
der Duderstädter, gehörte seit zwei Jahren schon ein Bisschen zur Familie. Er
hatte seine Jugend ausgekostet und sich beruflich selbständig gemacht, indem er
die Autolackierwerkstatt seines Vaters übernahm. Mein zukünftiger Schwager liebte
sportliche und schnelle Autos mit viel PS, trendige Klamotten und Rockmusik.
Ihm fehlte es an nichts und ich war überzeugt davon, dass er aus Handwerkerholz
geschnitzt war. Es schaut so aus, als hätte er mit Maren die Frau seiner Träume
gefunden. Beide hatten am besagten Kirmesmontag sowohl der Geselligkeit als
auch ihrer Liebe die Zeit geschenkt. Aneinander angelehnt, Händchen haltend,
eng umschlungen, im Kuss vereint, so waren sie unzertrennlich. Der eine ließ
den anderen nicht mal aus den Augen – Fazit: Unschuldig!
Das
Sahnehäubchen in unserer Gemeinschaft waren Maren und Lucy, ausgestattet mit
fachlichen und fraulichen Kompetenzen, so tatkräftig wie verführerisch. Seit
Lucy bei uns arbeitete, fühlte sich meine Schwester glücklicher und
selbstsicherer. Weibliche Verstärkung zu haben hieß, der Männerdomäne doppelt
Paroli bieten zu können. Zwischen den beiden Frauen entwickelte sich eine enge
Freundschaft, die durch die Heiratsabsichten von Maren und Tim ins Schweben gerieten. Die Abende, die Maren
sonst mit ihrer Kollegin verbrachte, gehörten jetzt Tim. Vielleicht sollte ich
mich ja dieser Frau annehmen, sie war ein begehrenswertes Wesen, mal rockig und
mal klassisch, mal elegant und mal recht sexy. Die meiste Zeit aber versteckte
sie ihren Knackarsch in Jens oder Overall.
Lucy
war pflichtbewusst und zuverlässig. In der Arbeit gipfelte ihr halbes Leben,
wie mir schien. Es hatte sie aus familiären Gründen in unsere Gegend
verschlagen, was sie mit Schicksal kommentierte. Dies musste ein sehr harter
Schicksalsschlag gewesen sein, weil sie bisher mit niemandem darüber geredet
hatte. Sie bewohnte das kleine Bauernhaus ihres Großvaters in Niederorschel.
Selbst nach drei Jahren baute puzzelte und gestaltete sie noch an diesem
Anwesen herum. Dank der Nachbarschaft und Freundschaft zu Davids Familie hatte
sie sich gut eingelebt.
Entspannung
und Zufriedenheit suchte sie an den Wochenende auf ihrer BMW oder im
Fitnessstudio, dass sie sich in ihrem Opahaus eingerichtet hatte. Dort powerte
sie oft mit Maren um die Wette. Hatte sie einen Grund, ihr neu erworbenes Glück
auf den Kopf zu stellen? Sicher nicht!.
Damit
war für mich die Beweisaufnahme abgeschlossen. Ich hätte einen Eid darauf
schwören können, dass der Mörder in keinster Weise in unserer Mitte zu finden
war. Jetzt galt es, die Kriminalbeamten von meinen Recherchen zu überzeugen.
Meine
Aussage: „Wir waren gemeinsam auf einer recht gemütlichen und traditionellen
Geburtstags-, Jubiläums- und Kirmesfeier, sind dieser Frau, die wir entdeckt
haben, noch nie begegnet, sind rechtschaffene Bundesbürger und jeder kann
sozusagen jedem ein Alibi geben.“
Nun
oblag es der Kripo, dem Täter auf die Spur zu kommen. Diese Leute waren bestens
geschult, Mordrätsel zu lösen.
Der
Kirmesmordfall schockte ganz Thüringen. Wie konnte jemand das schönste
Volksfest des Jahres, an dem mit Gesang, Umzug und Tanz gefeiert wurde, zum
„Eventfriedhof“ werden lassen? Wie konnte jemand das Bild dieser reizvollen
Kleinstadt mit Marktplatz, verträumten Gassen, einer Einkaufsmeile, alten
Kirchenprachtbauten und idyllischen Winkeln mit Blut beflecken? Alles
Einladende, Heimische, Sehenswerte und Vertraute wirkte plötzlich beängstigend
und verwandelte sich in eine Gefahrenzone. Unbehagen, Misstrauen und
Fassungslosigkeit schwebten über unserer Stadt, wo jeder jeden Zweiten kannte,
ihn schätzte, ihm vertraute und keinem etwas Böses zutraute. Die Gesichter der
Einwohner hatten sich seit dem Unglücksfall bleich und grimmig gefärbt. Das
Wort Mord im Stadt- und Klatschgespräch hörte sich wie Unheil an, das im
Widerspruch zur Kirmesmusik stand. Sogar der Herr Bürgermeister schaltete sich
ein und versicherte, den Aufklärungsfall mit voranzutreiben. Gleichzeitig
appellierte er an die Bevölkerung, sachdienliche Hinweise zu geben. „Wir wollen
doch alle in einer friedlichen Stadt leben, unbeschwert unseren Tagesgeschäften
nachgehen und wieder einander vertrauen können. Bitte seien Sie uns dabei
behilflich, dieses schreckliche Vorkommnis aufzuklären!“
Inzwischen
hatten die Polizeibeamten unseren Personenkreis überprüft. Also musste es
irgendwo da draußen einen kaltblütigen Mordgesellen geben. Man konnte nur
wünschen und hoffen, dass die Ermittler rasch auf die Erfolgsspur kamen.
Meine
Gedankengänge wurden durch schrilles Telefongeläut unterbrochen.
„Hauptkommissar Götz am Apparat! Spreche ich mit Ron Richter?“ „Guten Tag, der
ist an der Strippe! Gibt es Neuigkeiten betreffs der Unbekannten?“ „Leider
nein, wir sind bedauerlicherweise noch keinen Schritt vorangekommen, was die
Identität der Toten betrifft. Bisherige Hinweise stehen als Vermutungen im
Raum!
Hey
Ron, mein fotografisches Gedächtnis hat ein paar Stunden gebraucht, um mir zu
signalisieren, dass wir uns kennen, jedenfalls haben wir eine gemeinsame
Leidenschaft und eine grüne Kawasaki!“ „Ihr Bullen wisst wohl alles?“ „
Bedauerlicher Weise nicht immer! Hast du morgen Abend Lust auf ein Bier mit
mir? Könnten uns so um 20.00 Uhr im Schwarzen Adler treffen.“ „Sorry, morgen
unmöglich! Ich muss Mama zu ihrem Rommee-Abend fahren und auch wieder abholen.
Seit diesem Kirmesmord geht die Angst bei den Frauen um. Sobald es dämmrig
wird, bekommen sie auf offener Straße Panik!“ „ Kann ich schon verstehen. Diese
Kleinstadtsicherheit ist ins Wanken geraten.“
„Maren
scheint ihre Unerschrockenheit auch schon verloren zu haben. Ihr sonst so unbeschwert
spontanes Wesen ist ebenfalls ins Flattern geraten. Wo Vertrauen in der Luft
hing, schwebt jetzt vielerorts Misstrauen. Das muss sich wieder ändern! Wie
wär‘s mit heute, gleiche Zeit, gleicher Ort?“ „Kann ich einrichten! Freue mich!“
Unser
Hauptkommissar hatte sich schon an einem Nischentisch platziert. Wir wollten ja
kein Biertischgegröle loslassen, sondern ganz gemütlich und etwas dienstlich plaudern,
wie ich dachte. Zwei Pils waren bereits im Kommen und er reichte mir seiner Begrüßungshand
nebst Speisekarte. „Du als Junggeselle hast doch sicher auch noch nichts zum
Abend gespachtelt. Werde mir ein echtes Thüringer Rostbrätl mit Kartoffelpüree
und viel Zwiebeln bestellen. Bist eingeladen! Was magst du?“ „Habe zu Hause
schon einen Happen mit Mama gegessen, aber auf eine Rostbratwurst mit
Kartoffelsalat bin ich immer hungrig!“
Die
Bedienung war schnell, das Essen lecker und wir konnten ungestört reden.
„Woher
glaubst du mich zu kennen? Ich habe doch gar keinen Polizeifreund!“ „Was ja
noch werden kann!“ „Hattet ihr mich schon einmal im Visier?“ „Ich glaube, wir
sind uns auf dem Sachsenring in Zwickau erstmalig begegnet. Du standest in
meiner Zuschauerreihe und dann haben sich unsere Fanwege noch einmal auf dem
Campingplatz Oberwald gekreuzt. Dort hattest du meine Rennmaschine von allen
Seiten unter die Lupe genommen und zum Kumpel „Astrein – eine Traumkarre!“,
gezwitschert. Meine Augen haben stets auf dir geruht und am späten Abend wollte
ich auf Nummer sicher gehen und habe das Schätzchen ins Zelt geholt. Geklaut
wird heutzutage überall.
Als
ich vor einem Jahr von Nordhausen hierher versetzt wurde, düste genau vor dem
Polizeiamt jemand mit der gleichen Maschine wie ich durch Heiligenstadt. Der
Fahrzeughalterhalter war rasch ermittelt.“ „Mensch Jannik, das ist ja der helle
Wahnsinn, dass wir hobbymäßig auf gleicher Wellenlänge schweben. Demnächst
organisiere wir eine gemeinsame Bikertour!“
„Das
machen wir, wenn der Fall gelöst ist. Noch gibt uns der Leichenfund eine Menge
Rätsel auf. Spurensuche erfolglos, der Pathologiebericht enthält die einzigen
definitiven Hinweise. Du bist doch von hier, kennst Stadt und Leute! Glaubst
du, dass der Täter ein Heiligenstädter ist?“ „Es fällt mir auch schwer zu
glauben, dass ein Einheimischer ausgerechnet in seinem Heimatort mordet.“
„Bevölkerungs-
und Anliegerhinweise haben uns noch kein entscheidendes Stück weiter gebracht.
Nach der Veröffentlichung der Fahndungsmeldung mit Foto gab es zwei
Protokollstimmen, die behaupteten, die aufgefundene unbekannte Tote zu kennen.
Das ist vielleicht unsere erste heiße Ermittlungsspur, denn beide
Zeugenaussagen kamen aus Mühlhausen und decken sich sogar betreffs des
Begegnungsorts. Mehr darf ich gar nicht preisgeben!“ Ich antwortete mit einem Kopfschütteln.
„Im
Wirrwarr der Ungewissheit wurde das Sonderteam „Kirmesleiche“ befehligt, mit
Hochfrequenz an diesem Fall zu arbeiten. Thüringen hat nur wenige
Tötungsdelikte zu verzeichnen. Vor zwei Jahren wies die Statistik 81 Fälle von
fahrlässiger Tötung auf und 33 Mordfälle. In welche Kategorie unser Opfer
passt, ist noch unklar, aber Dank der gut organisierten Zusammenarbeit mit den
LKA-Leuten, die jetzt mit uns im Ermittlerboot schaukeln, werden wir den Fall
schon lösen. Die Fahndung in Kurzform ist bereits raus. Wir ermitteln also
landesweit! Gegenwärtig sind wir auch im Raum Mühlhausen aktiv. Wir kriegen den
Täter!“, versicherte er mit.
Inzwischen
war es stockdunkel geworden. Auf dem Weg
zur Gartenstraße beschlich selbst mich ein komisches Gefühl. Es war ja längst nicht
erwiesen, dass der Mörder nur auf Frauen stand. Diese Ungewissheit war
nervenraubend, deshalb wollte ich Jannik helfen, wenn ich konnte. Die Sympathie
sprang ihm förmlich aus dem netten Gesicht. Nicht wesentlich älter als ich,
hatte er schon einen hohen Dienstgrad, war ein echter Biker, scharfsinnig und
cool. Es schien keines Wegs so, als würde er sein Handeln von Vorschriften
blockieren lassen. Leute wie er waren bei der Kripo richtig platziert.
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darauf fiel mir folgende Zeitungsmeldung ins Auge: IDENTITÄT DER TOTEN NOCH UNKLAR – Nach dem Tötungsdelikt in der
Nacht von Pfingstmontag zu Dienstag in der Nähe des Heimensteiner
Kirmesfestplatzes hat die Polizei noch keine Hinweise, die zur
Identitätsklärung geführt haben. Die bisherigen Untersuchungen und
Ermittlungsergebnisse lassen den Schluss zu, dass es sich um ein
Gewaltverbrechen gehandelt hat. Laut Obduktionsbericht trat der Tod durch
Erwürgen ein. Wahrscheinlich wurde der Frau mit einem Schaltuch die Luftzufuhr
abgedrosselt. Vom Täter fehlt bisher noch jede Spur, er könnte sowohl aus dem
Umfeld der Toten kommen, als auch ein Fremder sein. Unsere Leute ermitteln auf
Hochtouren und sind für jegliche Anhaltspunkte dankbar.“
Im
Leserausch hatte ich sogar das morgendliche Reinigungsritual beiseitegeschoben.
Tief durchatmend, bewegte ich mich ins Bad, wusch mich, putzte meine Zähne und
begann mit der Rasur. Rasieren war nie meine Stärke gewesen, aber wenn ich den
Geschäftsmann herauskehren musste, legte ich schon auf ein stoppelfreies
Äußeres wert.
Augenblicklich
spulte ich das eben Gelesene in meinem Hirn ab. Plötzlich rann Blut über mein
Gesicht. Erschrocken zog ich ein Fitzelchen Toilettenpapier von der Halterung
ab und klebte es mit Spucke an die Schnittwunde. Gleich ging es wieder ab und der
Schnitt ließ erneut eine rote Spur über die rechte Wange rinnen. Nun
betrachtete ich mein eigenes Aussehen, das mich augenblicklich erschreckte. Abgespanntheit
und Müdigkeit zeichneten meine Visage.Wie wird wohl der Mörder ausschauen? Ist
er auch ein Mann, wie Jannik oder ich? Hatte er vorsätzlich gemordet, oder war
es eine Panikhandlung? Stand er mit dieser Frau in irgendeiner Beziehung? Was
hat sich zwischen den beiden zugetragen? Behäbig klebte ich ein neues Stück
Zellpapier auf die lädierte Stelle und beendete die Rasur zum Glück unfallfrei.
Als
ich beim Frühstück wiederholt auf den Polizeibericht starrte, erwachte in mir
ein regelrechter kriminalistischer Spürsinn, der das Bild der Tatnacht zu
zeichnen begann. Dem vergnüglichen Anlass entsprechend war die Dame entweder
ein Kirmesgast oder eine Durchreisende, vielleicht auch eine neue Mitbürgerin.
Vermutlich war der Täter eine Zufallsbekanntschaft, die mehr erwartete, als die
Begleiterin zu geben bereit war. Keine Frau geht im Normalfall ohne Einkaufs-,
Schmink-, Akten- oder Geldtasche aus ihrem Haus. Somit war der Mörder darum
bemüht, Beweis- und Identitätsnachweise verschwinden zu lassen. Selbst seine
Spuren hatte er verwischt. Sicher war ebenfalls, dass er sein Opfer, dort
liegengelassen hatte, wo es getötet wurde. Es ist anzunehmen, dass für den in
Panik geratenen Mann die Liebesnische zur Mord-Ecke wurde. Als der Täter den
attraktiven Frauenkörper an sich heranziehen wollte, gegen ihren Widerstand,
Ist er wahrscheinlich gewalttätig geworden. Mit dem Schaltuch hat er sein Opfer
offensichtlich erdrosselt.
Vom
ungewollten Ausgang des Flirts selbst geschockt, hat ihn vielleicht sein außer
Kontrolle geratenes Verhalten zum Töten und zur Flucht getrieben. Ich stelle
mir vor, dass man viel Kraft braucht, um eine Schlinge so fest zuzuziehen, dass
der Blutstrom unterbrochen wird. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass dazu nur
sechs bis sieben Sekunden nötig sind. Schon kamen mir die aufgedunsenen,
rotverschmierten Lippen der Unbekannten in den Sinn, die das eigentlich hübsche
Frauengesicht zu einer Fratze werden ließen.
Aus
Harmonie konnte aber auch Mordlust geworden sein. Das hieße, dass es dem Mann
Spaß und Vergnügen bereitete, Frauen zu quälen. „Diese Bestie musste ihrer
gerechten Strafe zugeführt werden!“, hämmerte es in meinem Kopf.
Als
ich im Büro am Schreibtisch weiter sinnierte, legte ich die Materialbestellung
beiseite und griff mit schweißnassen Fingern zum Handy, wählte die Nummer des
Hauptkommissar-Freundes und nahm mit Erleichterung seine Stimme wahr. „Götz am
Apparat! Mit wem spreche ich?“ „Hey, Ron hier! Seid ihr in euren
Umfeldrecherchen schon vorwärts gekommen? Die ganze Sauerei geht mir einfach
nicht aus dem Kopf. Wer sucht sich schon eine mittelalterliche Kulisse für
einen Mord aus, noch dazu mitten im Kirmestrubel? Muss wohl eine Zufallstat
gewesen sein!“ „Grüß dich! Durch diesen Fragensumpf müssen wir uns doch manövrieren,
das ist unsere Arbeit, dafür werden wir
bezahlt. Was meinst du, wie viele Rekonstruktionsvarianten unser Team bereits
entwickelt hat. Momentan bringen uns nur Fakten weiter!“ „Gibt es denn da schon
welche?“ „ Junge, ich kann dir keine Auskünfte geben.“
Die
Aufklärungsarbeit hält uns alle in Atem, raubt uns die Freizeit, bringt oft das
Familienglück in Gefahr und entfremdet Eltern den eigenen Kindern. Weißt du
überhaupt, dass jedes Verbrechen so lange in den Köpfen der Kriminalisten
rebelliert, bis es endlich gelöst ist? Manche Taten zermürben, bis man nicht
mehr denken kann!“
„Betrachte
mich einfach als deinen Informanten! Ich will euch doch nur behilflich sein!
Intern natürlich!“
„Laut
einer anonymen Meldung soll diese Tote in einem Mühlhäuser Bordell gearbeitet
haben. Der Anrufer behauptete, von ihr bedient worden zu sein und bestätigte
die ausländische Herkunft. Das deckt sich mit zwei anderen Hinweisen. Ihre Uhr
war der einzige Anhaltspunkt, ein kleines Schmuckstück, auf das der Mörder
keinen Wert legte. Ermittlungen in der Szene ergaben bisher nichts – alle ohne
Zunge. Ein anderer Kunde will die Frau über eine Erotikanzeige gebucht haben,
sie versprach: „Bei Anruf und guter Bezahlung lässt dich unser Sternchen in den
Liebeshimmel aufsteigen!“ Diesen Rotlichtspuren folgen wir im Moment! Du kannst
dir dessen sicher sein, dass unsere Soko „Kirmesleiche“ am Ball ist!“
„Danke
und einen erfolgreichen Tag mein Freund!“
Der
Alltagsstress hatte mal wieder die Mordpanik verwischt, aber längst nicht
abgeklärt. Neue Energie schöpfend, stieß ich mich aus der Trägheit heraus und
gab die Materialbestellung in den Computer ein, auch da war Konzentration
gefragt, denn Bestellnummern durften nicht vertauscht werden. Hier war mein Arbeitsplatz.
Hatte
mich erneut mit Jannik auf ein Bier verabredet. Aus Eigennutz entwickelte sich
Freundschaft.
„Hey
Ron!“,begrüßte mich der Bikerkumpel.
Lässig,
etwas müde drein lächelnd, betrat Hauptkommissar Jannik die Eckkneipe. Seine
sanften Augen waren getrübt. Wir schüttelten uns die Hände. Unsere Begrüßung
wurde mit neugierigen Mienen und forschenden Blicken bedacht.
„Stehst
wohl auf Männer?“, bemerkte ein Bekannter im Vorbeigehen. Wir ignorierten ihn
und bestellten ein Pils.
„Bei
uns ist der Teufel los, seid wir den Mordfall am Hals haben. Wir schweben nur
im Wenn und Aber. Solch ein scheußliches und undurchsichtiges Verbrechen hatten
wir lange nicht zu bearbeiten. Manchmal droht mein Kopf vor zu vielen Ideen zu
explodieren. Gedankengänge, die einfach nicht zusammen passen. Habe heute mit
dem Staatsanwalt simuliert, aber alle Überlegungen uferten im Nichts aus. Der
Mörder ist noch ohne Gesicht. Hoffen, dass die Soko „Kirmesleiche“ den Fall
löst.“
Aus
unserer Motorradfahrt wird wohl vorerst nichts
werden.“
„Ihr
werdet den Mörder schon finden. Keiner ist ohne Gesicht. Prost auf einen
baldigen Fahndungserfolg!“
Seit
dem Kirmesmord ging bei den Frauen die Angst um. Unsere Kleinstadtidylle war aus den Fugen geraten. Selbst Maren schien ihre Unerschrockenheit verloren zu haben Lucy
sah man nur noch auf ihrer Maschine von Ort zu Ort düsen. Ich hätte sie gerne
beschützt, aber sie gab mir keine Chance, ihr Herz zu erobern. Unlängst fragte
ich sie: „Warum lebt eine so attraktive Frau wie du eigentlich alleine. Sehnst
du dich nicht nach Familie?“ Leider
bekam ich nur ein Achselzucken zur Antwort. Mehr erfuhr ich nicht. Mehr gab sie
nicht preis.