Donnerstag, 26. April 2018

"Jeder Begegnung wohnt ein Zauber inne" - 6. Kapitel

Nun kehrten wir in die Zivilisation zurück und verbrachten die letzten Reisetege in der wunderschönen Stadt Swakopmund.




                                                                                              
"Menschen zu finden, die mit uns fühlen und empfinden, ist wohl das schönste Geschenk auf Eden.      (Carl Splittele)

6. Jeder Begegnung wohnt ein Zauber inne

Nachdem wir den Etosha-Nationalpark erforscht hatten, stellte ich einen kurzen Heimatvergleich an. „Das war ja ein Zoo ohne Zäune und Mauern. Es ist unmöglich in Worte zu fassen, was mich hier in Namibia so alles bewegt hat. Die endlose Weite und Schönheit eures Landes muss man aufspüren, um sie begreifen zu können. Manchmal glaube ich, dass ich mich bei euch glatt beheimaten könnte. Eure Freundschaft, die Elefantenvertrautheit, die Nashornberührungen und Carls Liebe haben in mir neue Lebensgefühle geweckt!“ Mein Herz, erfüllt mit tausenden von Eindrücken und Gedanken, schlug förmlich Purzelbäume. Hier war ich Mensch ohne Alltagszwänge und Verbindlichkeiten.
Total im Glücksrausch und voller Zufriedenheit genoss ich die Weiterfahrt. Kleine Tierherden, Eisenbahnlinien, Brückenbauten und Fördertürme rauschten an uns vorüber. Der Verkehr verdichtete sich, Carl überholte mit rasantem Tempo auf der gut ausgebauten Fernverkehrsstraße Lkw‘s, die mit riesigen Marmorplatten beladen waren. „Beste Qualität! Dieses Naturprodukt wird hier abgebaut und vorwiegend nach Europa verkauft.“, wusste Mia.
„Die Talfahrt nach Swakop ist ein Erlebnis der besonderen Art. Auf uns wartet mehr Nordseeidylle als Afrikakulisse. Architektonisch und sprachlich ist hier alles mit dem Deutschtum verwurzelt. Geschäfte und Restaurantzentren erinnern an deutsche Kultur. Als Badeort kommt die Stadt den hitzegeplagten Namibianern vor allem in den Sommermonaten gelegen. Wenn es im Innland brütend heiß ist, findet man bei uns Abkühlung!“, weihte mich Hanna ein.
Mit jedem Kilometer Atlantiknähe wurde es kühler und windiger. Schäfchenwolken schwebten im Himmelsblau. Die Sonne schien, aber die Wärme wurde vom Winde verweht. Rasch streiften wir uns Jacken über.
Erneut Wüstenlandschaft! Und plötzlich Anzeichen von Wohnkultur. „Das sind Minensiedlungen, in denen die Arbeiter mit ihren Familien leben. Im eigentlichen Sinne ein Fortschritt, denn dieses Leben ist weitaus attraktiver, als im Busch zu Hause zu sein.“
„Unsere Afrikaans verstehen es noch nicht, die Bodenschätze des Landes zu veredeln. Engländer, Franzosen, Australier, Deutsche und Kanadier errichten Förderstellen. Besonders die Chinesen besiedeln uns gegenwärtig wie Ameisen. Alle sind nur auf Profit aus. Das Wohl unseres Landes geht denen am Arsch vorbei!“, schimpfte Mia.
Endlich wieder Spaßprogramm! Vor uns rollt ein Transporter mit Toilettenhäuschen: Rent-a-Toilet! Mein lautes Lachen wurde unüberhörbar. „Hält der an, wenn wir mal Pipi müssen? Das ist wohl das WC für alle Fälle?“ Rosi antwortete grinsend: „Diese Strandtoiletten werden nach Swakop gebracht. In der Badesaison sind sie unentbehrlich. Das dringende Bedürfnis muss privat abgesichert werden. Wer ein Familienevent am Strand plant, mietet ein solches stilles Örtchen. So will es die Vorschrift!“
Als wir in das Swakoprevier eintauchten, wurde Hanna andächtig. „Deutschstämmige haben hier die Wüste urbar gemacht und Lebensraum geschaffen, Verkehrsverbindungen gebaut und den Handel entfacht. Die 1910 errichtete Seebrücke ist das Wahrzeichen der Stadt. Wir nennen sie liebevoll „Jetty“. Ein Gang über dieses Bauwerk ist für jeden Besucher ein unvergessliches Erlebnis, ein lebendiges pulsierendes und  anziehendes Stück Geschichte. Das Faszinierende an dieser Brücke ist die Austernbar mit Glasplatte im Fußbodenbereich. Damit offenbart sich jedem Besucher das Schaufenster zum Meer.“, gab mir Carl zu verstehen. „Wir haben damals vor lauter Meerestoben nur Schaumkämme ausmachen können.“, wusste ich noch.
Nun prahlte Mia mit ihrem zweiten Zuhause. Eigentlich war Holland ihre Heimat, aber familiäre Umstände hatte ihre Familie in Südafrika stranden lassen.
„Swakopmund war und ist ein besonders anziehendes Städtchen, hat Flair, mehrere wunderschöne Gebäude und gehört heute zu den beliebtesten Badespaßorten Afrikas. Bei uns spricht man vom Drehpunkt des Welthandels und Tourismus! Dieses Fleckchen Erde ist einfach paradiesisch.“
Ein Blick aus dem Fenster ließ mich staunen. Farmerland mit Obst- und Gemüsefeldern bzw.- Anbau. Höfe, auf denen Hühner, Gänse, Enten und Ziegen umherspazierten. „Hier wurde dank der Bewässerungspipelines Landwirtschaft ermöglicht. Diese Farmer sichern die Versorgung der Stadtbevölkerung ab!“, warf Carl ein.
Jetzt offenbarte sich ein Vorstadtviertel, das mich echt stutzig machte. Auf einer riesigen Wüstenlandfläche war man bemüht, eine Wohnkolonie zu errichten. Alles zeigte sich unvollendet und sehr beengt. Hier fehlten Fenster, dort Türen und in der einen Reihe erkannte ich, dass einige Wohnwürfel noch ohne Bedachung waren. Weder Wege noch Straßen waren zu erkennen.
„Was sind denn das für furchtbar enge Behausungen? Oh Schreck, da hinten sind ja schon ein paar trostlose Unterkünfte  bezogen worden. Menschen und Ziegen teilen sich den Platz mitten im  Nichts!“, entfuhr es mir
„Das sind die Wohnungen für die Buschschwarzen! Auch ein Regierungsprogramm, das leider noch nicht gefruchtet hat. Die Mehrzahl der schwarzen Namibier hat keinen festen Job und kann die Miete gar nicht zahlen. Einige von ihnen ziehen aber auch das Buschleben vor. Man hat begonnen, den Arbeitern Kredite zu gewähren, um sie aus dem Elend zu holen. Ihre Townships sind eine Schande für dieses Land. Eigentlich sollte es solche Orte gar nicht mehr geben.“, betonte Mia.
Mir schwebten augenblicklich die trostlosen Haufen verrotteter Blechhütten am Stadtrand von Johannisburg  vor Augen. Dieser Anblick hatte mich vor zwei Jahren schon entsetzt und fassungslos gemacht, als man zur Fußballweltmeisterschaft heile Welt proklamierte. Bei den Fernsehübertragungen sah man nicht, wie Kinder im Dreck spielten und im Müll nach etwas Essbarem stöberten. Auch die Trüppchen zerlumpter Halbwüchsiger, die unter einem Wellblechdach abhingen, rauchten, Bier tranken und ziellos in den Tag starrten, wurden ausgeblendet. „Das ist  eben auch Namibia!“, kommentierte Rosi
Das triste Bild wandelte sich rasch. Nun fuhren wir an herrschaftlichen Bauten, Einfamilienhäusern, groß und modern, mit farbenfrohen Gärten vorbei.
Carl hielt vor einem dieser schmucken Grundstücke, natürlich fest umzäunt, an. „Genau richtig! Hier bin ich zu Hause. Mein Gartenboy ist fleißig am Schaffen. Er weiß, dass ich heute komme.“, bemerkte Mia. Sichtlich erstaunt betrachtete ich ihr Grundstück und war echt baff. „Du hast ja hier das Himmelreich auf Erden. So ein Anwesen könnte ich mir als Alleinstehende in Deutschland gar nicht leisten.“
„Bei uns ist halt alles preiswerter zu haben. Außerdem ist die rechte Haushälfte an einen Polizisten untervermietet. Er garantiert mir Einnahmen und Sicherheit.“
Nach einem Erfrischungsschluck fuhren Rosi, Hanna und ich mit Carl Richtung Innenstadt. Auf diesem Wege kamen wir durch den neuen Stadtteil „Venezia“. „Schaut mal nach rechts! Dort an der Ecke bauen meine Kinder Christin und Max ihr neues Haus. Das wird wesentlich größer als ihr jetziges. Paul Alfred, mein Enkel, bekommt eine eigene kleine Wohnetage!“, ließ Hanna voll Stolz verlauten.
Carl machte mich auf weitere Bauwerke aufmerksam, die aus dem Wüstensand emporschossen. „Dort siehst du unser neues Sportzentrum, hochmodern mit Poolbereich und Fitnessräumen. Ein Tennisplatz ist gleich dahinter. Daneben wurden eine deutsche Privatschule gebaut und ein Seniorenheim für Regierungsbeamte. Diverse Einkaufszentren krönen diese Wohngegend!“
„Ich liebe dieses Urlaubsparadies und verbringe den Jahreswechsel häufig hier mit den Kindern und Freunden. Das Klima ist einfach fantastisch.“, ergänzte Rosi.
„Unsere Spaziergänge damals erstreckten sich doch vom Meeresstrand zum Wüstensand. Einmalig solche Stadtbegrenzungen!“ „Diese Grenzen sehen heute schon wieder ganz anders aus. Ständig ist man dabei, neues Wüstenland urbar zu machen.“
Und schon erblickte ich die berüchtigte Seebrücke, die großzügig angelegte Strandpromenade und die tolle Ferienwohnung meiner Freundin Rosi. Carl lud das Gepäck aus und trug es in ihr Luxusquartier. Ich stürmte erst einmal auf den Balkon, um den endlosen Blick auf den Atlantik einzufangen. Sofort wehte mir ein scharfer Wind entgegen. 42°C Etoshahitze waren längst vorüber. Hier bekam man wieder einen kühlen Kopf.
„Danke für den Kofferservice, wir sehen uns heute Abend wieder!“, verabschiedete sich die Freundin.
Carl kam echt ins Komplimentieren, als wir die Ferienwohnung verließen. „Die Ohlefamilie hat sich ja hier ein traumhaftes Feriendomizil geschaffen. Der Blick auf das Meer weckt das Gefühl von Freiheit und Abenteuer, einfach wundervoll!“
Hanna stand für Nels-Immobilien, eine Top-Adresse für alle Quartiersuchenden und Kaufinteressierten in Swakop. Nach dem Tod ihres Mannes führte sie gemeinsam mit ihrer Tochter Christin und deren Mann die Firma recht erfolgreich weiter. Das Team hatte Kunden aus aller Welt mit Rang und Namen. Das Geschäft befand sich gegenüber des Anwesens der Familie Salomon, so dass wir gleichzeitig angekommen waren. „Tschüss bis später, muss erst einmal schauen, ob alles am Laufen ist!“, verabschiedete sie sich.
Durch die gemeinsame Zeit, in der wir auf Entdeckungsreise waren, war auch die Beziehung zwischen Carl und mir gewachsen. Wir teilten Freude, Ängste, vertrauten einander mehr als je zuvor und freuten uns auf die Zweisamkeit. Die nächsten Tage war ich sein Gast. Wir konnten uns ständig sehen, hören, spüren und uns dem ungezwungenen Gefühl der Liebe hingeben. Damals hatte mich Carl mit seinem Garten Eden und dem Schlafgemach verzaubert, heute führte er mich in seine Wohn- und Familienwelt ein. Gebieterisch präsentierte er mir das Salomon-Reich. Eigentlich waren es zwei zusammengefügte Häuser mit einer großen Terrasse und einem überdachten Gang vom Stammgeschäftshaus zum Neubau. Im Innenhof, mit Pool und Grünanlagen, duftete es betörend. Hier konnte man das ganze Jahr über relaxen und sich vom exotischen Flair verzaubern lassen.
Carls Wohnbereich war recht geräumig, sein Kaminzimmer eine neue Entdeckung. „Manchmal fängt man auch in Namibia abends an zu frieren und dann finde ich in diesem Raum Gemütlichkeit. Er war das Lieblingszimmer meiner Frau. Hier umgibt mich noch heute ihre Wärme, ihr Duft und manchmal glaube ich sogar, Charlottes Stimme zu vernehmen!“
„Woran ist sie eigentlich so früh verstorben?“ „Ärztepfusch! Es war eine ganz banale OP, bei der ihr Krankenhauskeime zum Verhängnis geworden sind!“ Mitfühlend umarmten wir uns.
„Die Zeit heilt viele Wunden, aber es bleiben Narben zurück!“, wie ich wusste. „Lass uns noch einen kurzen Strandspaziergang machen, um die Vergangenheit abzuschütteln, die nur Ballast für die Seele ist!“
Wenig später standen wir auf der „Jetty“, blickten, mit dem Schicksal versöhnt, auf die Meereswogen, die auch heute gefährliche Schaumkämme hochpeitschten. Romantisch gestimmt sah ich den Vögeln zu, die direkt vor meinen Augen ihre eleganten Bahnen durch die Luft zogen. Und dann und wann stießen sie einen unüberhörbaren Schrei aus. Ein hoher schriller Ton, der vielleicht ihre Freiheit am Leben verkündete. Das Glücksgefühl über die Leichtigkeit, mit der sie über den Dingen schweben konnten, war beneidenswert. Ob den Tieren wohl bewusst war, welche große Gnade der Natur man ihnen geschenkt hatte? Genau jetzt wünschte ich mir, ein Vogel zu sein und fliegen zu können. Meine Flügelschläge würden mich von dem unendlichen Firmament Namibias bis nach Hamburg bringen. Und dann wäre es unproblematischer, in zwei Welten leben zu können.
 Carl riss mich aus der Träumerei! „Im Sommer schlägt hier der Puls der Weltzeituhr. Unsere Weihnachtstouristen kommen aus den verschiedensten Ländern. Deshalb hat man auch diesen hässlichen Strandhotelbetonklotz gebaut, in dem wir heute zu Abend essen. Ich denke, wir müssen dorthin aufbrechen.“
Das gemeinsame tiefe Erlebnis im Reich der Wildnis fand also in diesem Touristenpalast seinen kulinarischen Abschluss. Die drei Freundinnen saßen auf einer Strandbank und Hanna schimpfte hörbar, als wir ankamen. „Dieser Riesenpalast durchbricht die idyllische Strandkulisse und passt absolut nicht in die Flaniermeile mit den kleinen Hafencafès und Kneipen.“ Auch Mia konnte keinerlei Gefallen an dem neuen Hotelkomplex finden.
Wir wurden in einem großen Saal platziert und das Personal nahm unsere Bestellungen flotten Schrittes auf. Es herrschte ein lautes Kommen und Gehen, ohne Safarigemütlichkeit. Wir waren trotzdem frohen Mutes, genossen das leckere Fischessen und waren glücklich darüber, dass jeder unserer Reisetage ein anderes und bezauberndes Gesicht hatte.
Nachdem wir die Begeisterung noch einmal Revue passieren ließen, drehten wir unsere Stühle zum Atlantikschaufenster und schenkten dem abendlichen Meerestreiben unsere Aufmerksamkeit. Im Licht der Hafenscheinwerfer erspähten wir mehrere Delphine, die sich im Schutz der Dämmerung bis zum Badestrand vorgewagt hatten. Insiderwissen von Rosi! „Um diese Zeit gehört der Strand ihnen, denn die tückischen Ozeanwellen halten die Menschen vom Badevergnügen ab, weil sie in der Dämmerung nicht mehr einzuschätzen sind. Gefahr geht auch von den Delphinen selbst aus. Diese Tiere haben schon so manchen Schwimmer auf nimmer Wiedersehen mitgerissen.“ „Wir sind es gewohnt, mit dieser Gefahr zu leben!“, ergänzte Mia.
Da fiel mir ein: „Hattest du nicht in einer solch dramatischen Situation deinen Mann verloren?“ „Es war der schwärzeste Tag meines Lebens, obwohl die Sonne schien. Er wollte einen Urlauber retten und ist selbst ertrunken.“ Schweigeminute!
Die Abenddämmerung ging rasch in die rabenschwarze Nacht über und jeder von uns sehnte sich nach seinem Bett. Meins befand sich in Carls Schlafzimmer. Wie stark seine Gefühle mir gegenüber waren, wurde mir noch in dieser Nacht spürbar. Er liebte mich, wie er seine Familie, seine Arbeit und sein Land liebte, leidenschaftlich ungestüm, voll Zärtlichkeit und Hingabe in einer berauschenden Mischung aus Wildheit und Kultiviertheit.
Für den folgenden Tag war Frauenpower angesagt. Hanna fuhr mit ihrem Pkw vor, lud uns ein und auf ging‘s zur Vergnügungstour durch Swakop. Die mit vielen kleinen Fachwerkhäusern geschmückte Innenstadt lud uns zuerst zum Shoppen und dann zur Einkehr in das „Deutsche Haus“ ein. „Dieses Luxushotel gehört übrigens einem Thomas Ehbrecht aus Obernfeld. Er ist als Investmentbanker und Politiker in Niedersachsen tätig. Zugleich engagiert er sich für Hilfsprojekte in unserem Land. Hier können wir sogar Neunspringer Bier und deutschen Whisky trinken.“, wusste Helga.
„Wenn man mal von den dunkelhäutigen Passanten und Geschäftsbesitzern absieht, könnte man meinen, in deutscher Kleinstadtidylle zu flanieren. Ich fühle mich keinesfalls fremd hier.“
Auch bei dieser Stadttour setzten sich verschiedenartige Erinnerungen in meinem Gedächtnis fest. In einem Kunsthof, am Stadtrand gelegen, boten Afrikaner eine breite Palette der in Handarbeit gefertigten Produkte feil. Wundervolle Tierschnitzereien, lebensechte Safariporträts, Tischwäsche, Kleidung und Schmuck zogen die Besucher an. Im Innenportal standen auf einer Bühne quirlig bunte Kleinkindergestalten. Ihr Anblick war herzerfrischend. Sie führten mit viel Bewegung, Mimik, Gestik und Gesang ein Programm auf, das uns fesselte. Begeistert klatschten wir Beifall und erfuhren, dass sie mit ihrem Weihnachtsprogramm die Spenderherzen erreichen wollen, um das Schulgeld für minder Bemittelte einzuspielen. Das bunte Gemisch von strahlenden Kinderaugen ließ uns großzügig werden. „Was für eine warmherzige Begegnung! Ein solches elternloses Lockenköpfchen wüde ich glatt noch adoptieren!“, schwärmte ich.
Carl hatte sich in der Zwischenzeit um das Geschäft gekümmert und den jungen Leuten unter die Arme gegriffen. Mit äußerster Zufriedenheit stellte er fest, dass es auch ohne seine Anwesenheit bestens florierte.
Mia war so nett, uns in ihr Haus zum Abendessen einzuladen. Familie Shmit aus ihrer holländischen Heimat war ebenfalls zu Gast. Geschäftsleute, mit denen wir Allerweltsgespräche führten. Als ich am Nachmittag in ihrem Verkaufsladen eine echt afrikatypische Tasche, Handarbeit, gekauft hatte, klagte die Inhaberin: „Die meiste Zeit stehe ich alleine im Laden oder sitze an der Nähmaschine. Kaum hat man ein Mädchen eingestellt und angelernt, wird es schwanger und bleibt der Arbeit fern. Es ist sehr schwer, brauchbare Angestellte zu bekommen. Die Schwarzen wollen Geld verdienen, zeigen aber zu wenig Arbeitsmoral. Das ist Namibia!“
Als wir eintrafen, machte Mia mit uns eine kleine Hausbesichtigung. Alles war sehr komfortabel und praktisch eingerichtet. Meine Blicke blieben an der Ahnen- und Familienwand im Flurbereich haften. Dort zeigten sich viele hübsche, freundlich drein blickende Gesichter. Total beeindruckend! Auf die Enkelkinder war sie natürlich besonders stolz.
Unsere Freundin wartete mit heimischen Spezialitäten auf. Es gab einen zauberhaft anders schmeckenden Hackbraten, typisch afrikanisch, ebenso der Wein. Wir genossen und erzählten bis zur späten Stunde.
„Nachts läuft hier niemand durch die Gegend, das ist viel zu gefährlich.“ Also wollte uns Hanna zurückfahren. Es klang sehr beunruhigend, als sie von den Gefahren in Afrika erzählte. „Erst vor wenigen Tagen ist ein deutsches Farmerehepaar in den frühen Abendstunden  von schwarzen Kriminellen überfallen worden. Als ich den Tathergang in einer Zeitschrift las, schlug es mir Blasen unter die Haut. „Ein lauer Abend! Stille! Urplötzlich überholte ein hellblauer Pick-up das Fahrzeug der Farmerfamilie. Und dann ging alles ganz schnell! Der Wagen hielt an, ein Mann sprang von der Ladefläche, zog eine großkalibrige Pistole und richtete sie auf den Kopf des Opfers. Dann zwang man beide zum Aussteigen, um in den Besitz des BMWs zu gelangen. Als der Bedrohte sich den Dieben entgegenstellte, wurde er brutal abgeknallt. Lediglich seine Frau kam mit einem Schock davon. Man sollte den Machtanspruch der Schwarzen nie und nirgendwo unterschätzen!“
Ich saß sinnend im Auto, als Hanna; Rosi, Carl und mich heimwärts chauffierte. Wiederholt musste ich aber auch feststellen, dass Herzlichkeit, Unbefangenheit und Gastfreundschaft oberste Priorität bei den Afrikanern haben.
„Ein neuer Tag, ein neues Glück! Es wird Zeit, dass du meine Arbeitswelt in Augenschein nimmst. Miro und seine Frau freuen sich schon auf deinen Besuch!“, mit dieser Ansage betraten wir nach dem genüsslichen Frühstück das renommierte „Salomon Juwelen“ Geschäft im eleganten Citylook. Mit ungezwungener Fröhlichkeit kam Miro auf mich zu. „Willkommen im Familienreich!“, sagte er charmant. „Meine Bewunderung gilt der neuen Frau an Vaters Seite. Schau dich nur um und sage mir dann, was dir besonders gut gefällt! Wir möchten dir ein Begrüßungsgeschenk machen.“
Carl setzte sich in die Werkstatt ab. Meine Blicke hafteten an den Schaufensterauslagen, wo es funkelte und glitzerte. Raffiniert angeordnete Blumenarrangements erregten meine Aufmerksamkeit. Ringe mit verschiedenen Steinen, die auf einem Lilienstängel prangten, Goldketten, die aus Rosenblüten sprangen zeugten von wahrer Handwerkskunst. Wie gebannt starrte ich auf die Ansammlung der außergewöhnlichen Schmuckstücke. Im selben Moment betrat ein Ehepaar das Geschäft und eine modisch chic gekleidete Dame kam hinter einem Samtvorhang hervor. Noch bevor sie sich der Kundschaft zuwandte, ertönte die Stimme des Herrn. „ Einen wunderschönen guten Morgen! Meine Frau hat sich beim Blick in ihr Schaufenster in eine Goldkette verliebt. Könnten Sie uns die oben rechts bitte mal zeigen?“
Perfekt deutsch begrüßte mich Carls Schwiegertochter im Vorbeigehen. Mit geschickten Händen fingerte Susann das gewünschte Stück aus der Auslage und legte es der Dame um den Hals. „Eine Opalkette, gute Wahl! Sehen Sie die Regenbogenfarben, sie spiegeln die Vielfalt unserer Emotionen wider!“
Wie verzaubert verharrte die Frau vor dem Spiegel. Entzückt meinte der Gatte: „Ein so kunstvoll gearbeitetes Schmuckstück kann man nur selten erwerben.“ Zu seiner Begleiterin gewandt sagte er: „Genau so etwas Wertvolles und Einzigartiges wollte ich dir zu unserem zwanzigsten Hochzeitstag schenken. Genau diese Kette ist dir ebenbürtig!“
Mir lachte das Herz, als ich das vernahm.
„Wir haben für jegliche Charaktere das passende Schmuckstück. Ihr Geschmack ist großartig. Bitte setzen Sie die Opale nicht zu oft dem Sonnenlicht aus und reinigen Sie die Kette ab und zu in lauwarmem Wasser, dann haben Sie lange Freude daran!“, riet Carls Schwiegertochter.
Er selbst befand sich bereits wieder im Verkaufsraum und zeigte ein sehr zufriedenes Gesicht. „Welches Schmuckstück würdest du denn meiner Herzensdame empfehlen?“, lautete seine Frage.
„Soll das ein Test werden?“, fragte Susen belustigt und trat auf mich zu. Der Umarmung folgte die Begrüßung.
„Guten Tag Barbara, es freut mich, dich endlich persönlich wieder bei uns willkommen zu heißen. Mein Schwiegervater erzählt und schwärmt mehr von Deutschland als von Namibia. Das hat doch etwas zu bedeuten?
Besitzt du Türkisschmuck?“ „Ja, einen Ring, den ich mit Vorliebe trage.“ „Na, dann schauen wir mal, ob wir dazu eine Ergänzung finden.“ Rasch streifte mir Susann den Ring vom Finger und reichte ihn an Carl weiter.
„Die Indianer halten diesen Edelstein für einen Beschützer des Körpers, sprich der Gesundheit!“ „Das ist ja eine bemerkenswerte Deutung!“
„Schließe bitte die Augen und reiche mir die rechte Hand!“, hörte ich den Schmuckexperten sagen. Als er mein Handgelenk sanft umfasste, hielt ich den Atem an. „Augen auf!“
Mir verschlug es fast die Sprache, als ich das kostbare Armband bestaunte. „Was kostet das in Euro, ich möchte es kaufen.“
„Ein Geschenk des Herzens von den Salomons! Nichts ist für mich kostbarer, als du selbst.“ Mit diesen Worten geleitete er mich in den Garten, wo seine schwarze Hausperle bereits den Kaffeetisch eingedeckt hatte.
Dann wandelten wir auf Familienspuren, denn Carl erzählte mir, wie er in Swakopmund gelandet war. „Mein Opa Friedrich ist als Besatzungskind in dieser zauberhaften Stadt zur Welt gekommen. Seinen Sohn Konrad zog es aber nach Deutschland, wo er sich in Hamburg beheimatete. Oft erzählte mein Vater von diesem Tierparadies, der Regenbogennation und den Wüstenspielen, die seine Erinnerungen festgehalten hatten.
Von Neugierde und Abenteuerlust gepackt, musste ich unbedingt meinen Großvater und das Märchenreich Namibia kennen lernen. Zielgerichtet schloss ich meine Lehre als Goldschmied ab, ließ mir von Oma und Opa aus Swakop die Überfahrt sponsern und wanderte mutterseelenallein aus. Damals war ich gerade mal 17 Jahre alt. Hoch motiviert vervollkommnete ich meine Sprachkenntnisse und etablierte mich im Geschäftsalltag. Inzwischen sind meine Eltern verstorben, lediglich meine Schwester Charlotte ist in Deutschland geblieben. Mein jüngerer Bruder Konrad ist ebenfalls in das schwarze Herz Afrikas eingetaucht. Du weißt schon, dessen Frau du mir als Geliebte anhaften wolltest.“
„Wirklich bewundernswert! Ich weiß nicht, ob ich diese Courage aufgebracht hätte!“
„Das ist ja auch egal. Wichtig ist, dass du jetzt hier bei mir bist und deine Liebe für dieses Land und mich entdeckt hast. Inzwischen bin ich mit dieser zweiten Heimat verwurzelt und ich könnte mir kaum vorstellen, dem Großstadttrubel in Hamburg noch gewachsen zu sein.“
Mit einem Mal wurde es still, ruhig und leise zwischen uns. Ich ließ Carl in seinen Erinnerungen und Zukunftsvisionen schweben, legte mich in einen Liegestuhl in Poolnähe und gönnte mir einen Schlummerpäuschen. Plötzlich drifteten meine Gedanken ab. Ich befand mich in meiner Hamburger Wohnung und Regen trommelte auf das Hausdach. Mit einem Mal tropfte der Regen sogar in meinen Kopf. Verzweifelt sprang ich auf, suchte Eimer und Lappen, doch alles Wischen half nichts. Meine Sinne drohten zu ertrinken. Völlig losgelöst und desorientiert öffnete ich die Augen. Was hatte dieses Traumbild zu bedeuten? Würden meine Träume im Ozean untergehen? Ich schwebte im Zustand der Hoffnungslosigkeit und zuckte zusammen, als der Platz neben mir leer war. Langsam stand ich auf und schüttelte die irritierenden Hirngespinste ab. Eilig verschwand ich in Carls Badezimmer und duschte mich frisch.  Anschließend machte ich mich zum abendlichen Familiendinner, das im „Deutschen Haus“ stattfand, besonders schön. Ich wollte alle Familienmitglieder in meinen Bann ziehen. Wohl überlegt wählte ich ein super elegantes Leinenkostüm, stylte meinen Blondschopf, beschuhte mich mit roten Highheels und legte mit Bedacht ein dezentes Makeup auf. Das Armband und die Versöhnungskette, die er mir nach der Unterstellung des Seitensprungs geschenkt hatte, schmückten mich als Zeichen der Verbundenheit. Beim Blick in den Spiegel fühlte ich mich königlich. Mein Strahlen kam von innen und von außen. „Gewährt mir Einlass!“, säuselte mein Herz.
Der Abend wurde zum Event. Carl stellte mich als die neue Frau an seiner Seite vor und bekundete ernsthafte Absichten. Enkeltochter Lotta fiel mir um den Hals mit den Worten: „Du gefallen mir, Barbaratante. Spielen morgen „Mensch ärgeren dich nicht?“
Sie war so herzerfrischend, dass ich ihr das Spiel bereits zum Nachtisch versprach.
„Wir sind uns noch uneins in der Wahl der Heimat. Mir ist die Hansestadt zu hektisch und digital geworden. Babsi hemmen Sprach- und Anpassungsschwierigkeiten, namibisch zu werden. Ich glaube, wir brauchen noch Zeit, um herauszufinden, wie wir ein Zusammenleben organisieren könnten.“
Damit waren die Fronten geklärt. Erstaunt und glücklich über diese Harmonie setzten wir zwei uns noch mit einer Flasche Kapwein an den Strand, um im Sonnenuntergangsspektakel die Gedanken versinken zu lassen. Der Himmelsball warf goldene Funken ins Meer und brachte auch unsere Herzen zum Glühen. Versöhnt mit dem Tag, schmiegte ich mich an Carls Schulter. Im selben Augenblick zog er mich an seinen Körper, Gesicht an Gesicht und zeigte mir seine intensive Lust. „Lass uns nach Hause gehen, da können wir unserer Sinneslust ungeniert folgen.“
Als wir im Kaminzimmer angekommen waren, merkte ich, wie endlos mein Verlangen nach diesem Mann war. „Bitte hier nicht, lass uns ins Schlafzimmer gehen!“ Aus Rücksicht darauf, keine Erinnerungen an seine Frau aufkommen zu lassen, folgte ich ihm.
Carl entblößte seinen noch attraktiven Körper, er war auf naive Weise stolz, Frauen zu gefallen. Ich gab mir große Mühe, mich nicht als Lustobjekt zu verhalten und jenen kleinen Neigungen zur ordinären Schlüpfrigkeit nachzugeben. Aber dann erschauerte ich unter den Liebkosungen dieses Mannes, der mit sanften Fingern die Spitzen meiner Brüste berührte. Unverzüglich liebten wir uns mit wilder Begierde, bis wir den Zustand der körperlichen und seelischen Zufriedenheit erreicht hatten.
In den letzten Jahren war mein Leben viel zu ausgefüllt und von Leistungsdruck bestimmt gewesen, als dass ich Muße gehabt hätte, so zu lieben. Hier in diesem Land umgab mich ein gefährlicher Zauber, der den Alltag verdrängte. Ich hatte plötzlich die Sorglosigkeit verloren und gab mich den Gefühlen hin. Die Versuchung war groß, aber die Realität bedenklich.
Zum Abschied war noch einmal Teamwork angesagt. Carl, als Frauenversteher, übernahm den VW-Bus und steuerte die gewünschten Richtungen an. „Dir zuliebe natürlich!“, flüsterte er.
Rosi hatte zum Frühstück eingeladen und Hanna zu einem besonderen Ausflug in die sogenannte „Mondlandschaft“. Wir starteten zeitig, um dem Erlebnis genügend Raum zu geben. Gegen neun wirbelten wir die Sandpiste Richtung Inland hoch und runter, vorbei an Farmeroasen, Minenbergwerken und Solaranlagen zum Golfplatzrestaurant. Ein riesiger Sportkomplex, den man mitten in die Wüste hingezaubert hatte. Alles so beeindruckend, genial gegliedert und als Begegnungsstätte für Mensch und Tier konzipiert.
Auf dem Restauranthügel ließen wir uns in die Terrassensessel fallen. Meine erstaunten Blicke flogen über den grasgrünen Golfplatz, großflächig und kulturvoll angelegt. Hier gaben sich sogar die Wildtiere ein Stelldichein, natürlich ohne Handschuhe, Schläger und Bälle. Für mich kaum zu glauben, dass eine solch moderne Sportstätte inmitten der Sandwüste zum Leben erweckt wurde. „Alles eine Frage der Bewässerungsanlagen. Die Wüste urbar zu machen ist heute nicht mehr unmöglich.“, so Helga.
Wir frühstückten je nach Belieben verführerisch süß oder deftig lecker wildfleischig, mit Blick auf die Filmkulisse. An einem Ende wurde der Nachwuchs trainiert, am anderen fanden Wettkämpfe statt und mittendrin hatte man einfach nur Spaß am Spiel. Auch Hannas Kinder waren in Aktion.
„Auf geht’s zur Mondlandschaft!“, erschallte Mias Stimme. Nun übernahm sie das Steuer. Bevor wir in die Berge tuckerten, ließ ich meine Blicke noch einmal über das endlose Blau des Ozeans schweifen. Der Glutball der Sonne war inzwischen ein gutes Stück über den Horizont gestiegen und verwandelte den Atlantikstrom in flüssiges Gold. Möwen zogen ihre Bahnen und eine kühle Brise wehte mir um die Nase. Ich atmete Freiheit!
Die Wege glichen Sandpisten, nur teilweise exakt beschildert. Einige Jeeps und Radextremsportler kreuzten unsere Fahrbahn. Ein Holtern und Poltern rüttelte uns vorwärts. Dann Stopp! Sensation! Eine Gästefarmoase in der Einöde! Wir erfrischten uns und bestaunten den Streichelzoo.
Unsere Weiterfahrt war utopisch: felsig, leblos, orangebraun und schwarzgoldig. „Hier lagern diverse Erzreichtümer!“, betonte Carl. Felsformationen, gefährliche Schluchten und Steinkolosse in unüberwindbaren Größenordnungen prägten das Naturbild.
„Unglaublich, diese Mondlandschaft. Ich komme mir vor wie in einer virtuellen Welt!“
„Und genau darum ist dieses Reich zur Fantasiekulisse geworden. Die abenteuerlichsten Szenen werden hier gedreht. Die bekanntesten Schauspieler und Regisseure haben sich bei uns schon einquartiert oder gar ein Feriendomizil gekauft, so wie Angelina Jolie und Brad Pitt. Trotz Trennung werden sie wohl noch weiterhin hierher kommen. Die Weihnachtsfeiertage verbrachten sie meist mit Kinder- und Bedienstetenschar in Swakop!“, erzählte Hanna.
„Diese Naturwunderlandschaft wurde bereits vor zwei Millionen Jahren geprägt. Hier hat Namibias Nationalpflanze, die Welwitschia Mirabilis, ihr Reich, ein lebendes Fossil!“, so Carl.
Wenige Meter weiter entdeckte ich ein Superexemplar dieser Gattung. Ein Parkplatz, eine Infotafel und ein umzäuntes, halb vertrocknet wirkendes Pflanzenmonster bot sich unseren Blicken. Zum Bestaunen freigegeben! „Diese Welwitschia ist etwa 1500 Jahre alt. Sie ernährt sich durch 200 m lange Wurzeln, die irgendwo auf Grundwasser stoßen.“, war zu lesen. „Einfach unglaublich, grandios!“, entfuhr es mir. Augenblicklich fühlte ich mich in das Reich der Kyklopen versetzt, wo die Natur überdimensionale Gebilde geprägt hatte, gegen die wir Menschlinge wie Winzlinge erschienen.
Nach etwa einer Stunde näherten wir uns wieder der Zivilisation. Den krönenden Tagesausklang fanden wir bei Hannas Kindern. Sie empfingen uns mit einer umwerfenden Herzlichkeit und überraschten mich mit einem Lammgericht, das ich zuvor nie sonderlich gemocht hatte. Aber diese Art der Zubereitung entkräftete sämtliche Vorurteile. Es war eben ein Gemüse-Kartoffel-Lammtopf auf namibisch, im Kessel auf offenem Feuer gegart. Begeistert verlangte ich Nachschlag, ohne hinter das Geheimnis der Zubereitung gekommen zu sein. Andere Länder, andere Gerichte!
„Da gibt es noch so viel mehr, was du nicht kennst und lieben lernen solltest!“, resümierte mein Romeo.
Diese freundschaftliche, warmherzige und familiäre Begegnung berührte mein Herz. Und schon wieder hatte ich neue Liebesbande geknüpft.
Alles hat einen Anfang und ein Ende, das besonders Schöne geht immer viel zu schnell vorbei. Abgang, Abschied, Abflug, die Zeit war programmiert! Schwermütig musste ich mich von allem verabschieden, was mir lieb geworden war. Aber ich wusste, dass es keine Trennung für immer geben würde. Der Zauber Namibias hatte mich aufs Neue gefesselt. Mein Herz pochte laut und die Dankbarkeit war unendlich, als meine Freundin Rosi und ich alleine nach Windhoek mit dem Bustaxi zurück reisten. Dort verbrachte ich noch einen wunderschönen Tag mit dem Ohlefriseurteam und genoss die Liebenswürdigkeit von Gaby, Patrick und dem Rosijuwel, die inzwischen familiäre Formen angenommen hatte.
Auf der Fahrt zum Flughafen fühlte ich Abschiedsschmerz. Sogar die Tierwelt schien mir „Tschüss!“ sagen zu wollen. Die Affen tanzten am Straßenrand und eine Schweinchengesellschaft ließ uns kurz stoppen.
Ich atmete ganz flach, als ich sie quietschen hörte: „Bleibe hier! Namibia liebt dich!“ Mit einem hilflosen Blick säuselte ich in mich hinein: „Ihr habt gut reden, mein Leben ist eingerahmt.“
Zum Abschied wanderten meine feuchten Augen noch einmal in die gefühlte Unendlichkeit dieses Landes. Mein Höhenflug endete mit dem Air-Namibia-Flug nach Frankfurt. „In wenigen Minuten landen wir, bitte schnallen Sie sich an!“
Kälte ummantelte mich, als ich in Deutschland ankam. Tierbegegnungen tanzten noch vor meinen Blicken, Schwarze schienen meine Wege zu kreuzen. Rasch wischte ich mir die brennenden Erinnerungen aus den Augen, rief ein Taxi und fand mich damit ab, wieder in den Leistungsstrudel eintauchen zu müssen. Hier war mein Zuhause, wo ich gebraucht wurde und die Pflichten warteten. Letztendlich ist das Leben ja kein endloses Urlaubsparadies.
Wie ich so alleine in meinen vertrauten vier Wänden stand, kam ich mir etwas verloren vor. Beim Kofferauspacken geriet ich bereits in den Zwiespalt der Gefühle. „Hier bin ich eine angesehene Geschäftsfrau, genieße Ansehen und Vertrauen und kann am Leben meiner Söhne teilhaben, vielleicht sogar bald Omafreuden auskosten!“
Nun der Widerspruch: „Was glaubst du, wie es Carl ohne dich jetzt geht? Hat er dir nicht bewiesen, dass er zu dir steht? Er liebt dich!“, gab mein Gewissen zu bedenken. Es brauchte Zeit, um alles im Rahmen der Möglichkeiten zu regeln.
Früh am Morgen wachte ich auf und sprang regelrecht aus meinem Bett, um wieder Orientierung zu bekommen. Das Wiedersehen mit Kay und Tim sollte erst nach Feierabend gefeiert werden.
Also hatte ich Zeit zur Besinnung. Frühstück allein! War nicht so prickelnd! Danach  zog ich  mich adrett an und lief ziellos durch Hamburgs Gassen, um wieder Bodenständigkeit zu finden. Im ersten Moment wirkte meine Heimat eng, wie zugeknöpft. Hier hatte ich aber meine Bestimmung, mein Lebensraum und die Familie. Raschen Schrittes eilte ich zum Hafen, um das Fernweh abzukühlen. Das Wasser war trübe. Viele Schiffe und Motoryachten waren vor Anker gegangen. In weiter Ferne sichtete ich ein riesiges Kreuzfahrtschiff. Ob es wohl Richtung Südafrika ausgelaufen war? Erst, als ich dorthin schaute, wo die Wolken den Horizont zu berühren schienen, entkrampfte sich die Enge in meiner Brust.
Wie im Trance ließ ich mich auf eine Promenadenbank fallen, schloss die Augen und küsste mein Namibia. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich in zwei Welten schwebte, die mir beide boten, was der Mensch zum Leben brauchte: Familie, Existenzgrundlage, Freunde, Freiheit, Glück, Geborgenheit und Liebe. Die Wünsche und Träume kompensierten sich sowohl in Namibia als auch in Deutschland. Also war ich ein Glückspilz, weil ich so einen großen Möglichkeitenspielraum hatte. Deutscher Leistungsdruck, deutsche Gründlichkeit und Zuverlässigkeit gestalteten mein Dasein wesentlich stressiger. Die Zeit schien einem hier regelrecht davon zu rennen. Anders als im namibischen Alltag, wo Gelassenheit, Ruhe und Lebenslust regierten. Carl und auch meine Freundinnen wirkten stets auf mich entspannt, besonnen und begegneten dem Zeitgeschehen mit Gelassenheit. Diese Mentalität verlieh mir afrikanische Flügel. Dort schwebte ich über den Dingen. Namibia hatte an meiner Lebensuhr gedreht, die aus dem Takt zu geraten schien.
Besonders der Gentleman, Carl Salomon, hatte mich aus dem Gleichgewicht katapultiert. Dieses neu entfachte Liebesleben wirbelte meinen Verstand und die Sinne schon durcheinander. Nun hieß es, Courage zu zeigen, den Überblick zu behalten und den Gefühlen nicht die Regie zu überlassen.
Als meine Söhne eintrafen, wurde ich wieder ganz Mutter. Ihnen galten jetzt und hier meine Wünsche und Träume. Im Erlebnisfieber gelang es mir, bis Mitternacht die markantesten Eindrücke zu schildern.
„Wie mir scheint, hast du dein Herz in Namibia verloren. Aber ich hoffe, dass dieser Zustand nur ein Urlaubsfieber ist!“, bemerkte Kay.
Im Wirbelwind der Gefühle fand ich noch keine Ruhe. Zur Besänftigung legte ich die DVD meines Lieblingsfilms ein: „Titanic“. Schon schwebte ich im Abenteuerrausch. Wie unglaublich waren doch die Distanzen zwischen den Liebenden, wie katastrophal ihr Schicksal. Wie stets, von Ergriffenheit gelähmt und Mitgefühl besetzt, rannen mir die Tränen über die geröteten Wangen. Nach einer Gedenkminute versank ich noch mit einem Glas Kapwein in meinem Terrassensessel. Es sind die schönsten Momente des Tages, wenn abends die Sonne untergeht, die nächtliche Dunkelheit das Himmelszelt besetzt und die Sterne leuchten! Ich suchte Sternenbilder und fand den kleinen Wagen. Ob ich wohl mit dem bis Swakopmund käme? Sicher nur auf den Himmelswegen, denn es trennten uns ungefähr 16 000 km.
Nun sprach mein Herz: „Aber Liebesgefühle kann man nicht trennen, man kann sie lediglich vertagen oder begraben. Ein Leben ohne Liebe ist wie ein Tag ohne Licht.“ In diesem Moment war ich mir sicher, dass Carl und ich eine gemeinsame Zukunft hatten. Wie diese aussehen würde, stand leider noch in den Sternen.
ENDE!

VERANSTALTUNG FOLGT!





Herzliche Einladung zu meiner Lesung mit Diashow am 8. Mai 2018 in der Heiligenstädter Bibliothek um 19.00 Uhr!