Nun kehrten wir in die Zivilisation zurück und verbrachten die letzten Reisetege in der wunderschönen Stadt Swakopmund.
"Menschen zu finden, die mit uns fühlen und empfinden, ist wohl das schönste Geschenk auf Eden. (Carl Splittele)
6. Jeder Begegnung wohnt ein Zauber inne
Nachdem wir den Etosha-Nationalpark erforscht hatten, stellte ich einen
kurzen Heimatvergleich an. „Das war ja ein Zoo ohne Zäune und Mauern. Es ist
unmöglich in Worte zu fassen, was mich hier in Namibia so alles bewegt hat. Die
endlose Weite und Schönheit eures Landes muss man aufspüren, um sie begreifen
zu können. Manchmal glaube ich, dass ich mich bei euch glatt beheimaten könnte.
Eure Freundschaft, die Elefantenvertrautheit, die Nashornberührungen und Carls
Liebe haben in mir neue Lebensgefühle geweckt!“ Mein Herz, erfüllt mit
tausenden von Eindrücken und Gedanken, schlug förmlich Purzelbäume. Hier war
ich Mensch ohne Alltagszwänge und Verbindlichkeiten.
Total im Glücksrausch und voller Zufriedenheit genoss ich die
Weiterfahrt. Kleine Tierherden, Eisenbahnlinien, Brückenbauten und Fördertürme
rauschten an uns vorüber. Der Verkehr verdichtete sich, Carl überholte mit
rasantem Tempo auf der gut ausgebauten Fernverkehrsstraße Lkw‘s, die mit
riesigen Marmorplatten beladen waren. „Beste Qualität! Dieses Naturprodukt wird
hier abgebaut und vorwiegend nach Europa verkauft.“, wusste Mia.
„Die Talfahrt nach Swakop ist ein Erlebnis der besonderen Art. Auf uns
wartet mehr Nordseeidylle als Afrikakulisse. Architektonisch und sprachlich ist
hier alles mit dem Deutschtum verwurzelt. Geschäfte und Restaurantzentren
erinnern an deutsche Kultur. Als Badeort kommt die Stadt den hitzegeplagten
Namibianern vor allem in den Sommermonaten gelegen. Wenn es im Innland brütend
heiß ist, findet man bei uns Abkühlung!“, weihte mich Hanna ein.
Mit jedem Kilometer Atlantiknähe wurde es kühler und windiger.
Schäfchenwolken schwebten im Himmelsblau. Die Sonne schien, aber die Wärme
wurde vom Winde verweht. Rasch streiften wir uns Jacken über.
Erneut Wüstenlandschaft! Und plötzlich Anzeichen von Wohnkultur. „Das
sind Minensiedlungen, in denen die Arbeiter mit ihren Familien leben. Im
eigentlichen Sinne ein Fortschritt, denn dieses Leben ist weitaus attraktiver, als
im Busch zu Hause zu sein.“
„Unsere Afrikaans verstehen es noch nicht, die Bodenschätze des Landes
zu veredeln. Engländer, Franzosen, Australier, Deutsche und Kanadier errichten
Förderstellen. Besonders die Chinesen besiedeln uns gegenwärtig wie Ameisen.
Alle sind nur auf Profit aus. Das Wohl unseres Landes geht denen am Arsch vorbei!“,
schimpfte Mia.
Endlich wieder Spaßprogramm! Vor uns rollt ein Transporter mit
Toilettenhäuschen: Rent-a-Toilet! Mein lautes Lachen wurde unüberhörbar. „Hält
der an, wenn wir mal Pipi müssen? Das ist wohl das WC für alle Fälle?“ Rosi
antwortete grinsend: „Diese Strandtoiletten werden nach Swakop gebracht. In der
Badesaison sind sie unentbehrlich. Das dringende Bedürfnis muss privat
abgesichert werden. Wer ein Familienevent am Strand plant, mietet ein solches
stilles Örtchen. So will es die Vorschrift!“
Als wir in das Swakoprevier eintauchten, wurde Hanna andächtig.
„Deutschstämmige haben hier die Wüste urbar gemacht und Lebensraum geschaffen,
Verkehrsverbindungen gebaut und den Handel entfacht. Die 1910 errichtete
Seebrücke ist das Wahrzeichen der Stadt. Wir nennen sie liebevoll „Jetty“. Ein
Gang über dieses Bauwerk ist für jeden Besucher ein unvergessliches Erlebnis,
ein lebendiges pulsierendes und
anziehendes Stück Geschichte. Das Faszinierende an dieser Brücke ist die
Austernbar mit Glasplatte im Fußbodenbereich. Damit offenbart sich jedem
Besucher das Schaufenster zum Meer.“, gab mir Carl zu verstehen. „Wir haben
damals vor lauter Meerestoben nur Schaumkämme ausmachen können.“, wusste ich
noch.
Nun prahlte Mia mit ihrem zweiten Zuhause. Eigentlich war Holland ihre
Heimat, aber familiäre Umstände hatte ihre Familie in Südafrika stranden
lassen.
„Swakopmund war und ist ein besonders anziehendes Städtchen, hat Flair,
mehrere wunderschöne Gebäude und gehört heute zu den beliebtesten Badespaßorten
Afrikas. Bei uns spricht man vom Drehpunkt des Welthandels und Tourismus!
Dieses Fleckchen Erde ist einfach paradiesisch.“
Ein Blick aus dem Fenster ließ mich staunen. Farmerland mit Obst- und
Gemüsefeldern bzw.- Anbau. Höfe, auf denen Hühner, Gänse, Enten und Ziegen
umherspazierten. „Hier wurde dank der Bewässerungspipelines Landwirtschaft
ermöglicht. Diese Farmer sichern die Versorgung der Stadtbevölkerung ab!“, warf
Carl ein.
Jetzt offenbarte sich ein Vorstadtviertel, das mich echt stutzig
machte. Auf einer riesigen Wüstenlandfläche war man bemüht, eine Wohnkolonie zu
errichten. Alles zeigte sich unvollendet und sehr beengt. Hier fehlten Fenster,
dort Türen und in der einen Reihe erkannte ich, dass einige Wohnwürfel noch
ohne Bedachung waren. Weder Wege noch Straßen waren zu erkennen.
„Was sind denn das für furchtbar enge Behausungen? Oh Schreck, da
hinten sind ja schon ein paar trostlose Unterkünfte bezogen worden. Menschen und Ziegen teilen
sich den Platz mitten im Nichts!“,
entfuhr es mir
„Das sind die Wohnungen für die Buschschwarzen! Auch ein
Regierungsprogramm, das leider noch nicht gefruchtet hat. Die Mehrzahl der
schwarzen Namibier hat keinen festen Job und kann die Miete gar nicht zahlen.
Einige von ihnen ziehen aber auch das Buschleben vor. Man hat begonnen, den
Arbeitern Kredite zu gewähren, um sie aus dem Elend zu holen. Ihre Townships
sind eine Schande für dieses Land. Eigentlich sollte es solche Orte gar nicht
mehr geben.“, betonte Mia.
Mir schwebten augenblicklich die trostlosen Haufen verrotteter
Blechhütten am Stadtrand von Johannisburg
vor Augen. Dieser Anblick hatte mich vor zwei Jahren schon entsetzt und
fassungslos gemacht, als man zur Fußballweltmeisterschaft heile Welt
proklamierte. Bei den Fernsehübertragungen sah man nicht, wie Kinder im Dreck
spielten und im Müll nach etwas Essbarem stöberten. Auch die Trüppchen
zerlumpter Halbwüchsiger, die unter einem Wellblechdach abhingen, rauchten,
Bier tranken und ziellos in den Tag starrten, wurden ausgeblendet. „Das ist eben auch Namibia!“, kommentierte Rosi
Das triste Bild wandelte sich rasch. Nun fuhren wir an herrschaftlichen
Bauten, Einfamilienhäusern, groß und modern, mit farbenfrohen Gärten vorbei.
Carl hielt vor einem dieser schmucken Grundstücke, natürlich fest
umzäunt, an. „Genau richtig! Hier bin ich zu Hause. Mein Gartenboy ist fleißig
am Schaffen. Er weiß, dass ich heute komme.“, bemerkte Mia. Sichtlich erstaunt
betrachtete ich ihr Grundstück und war echt baff. „Du hast ja hier das
Himmelreich auf Erden. So ein Anwesen könnte ich mir als Alleinstehende in
Deutschland gar nicht leisten.“
„Bei uns ist halt alles preiswerter zu haben. Außerdem ist die rechte
Haushälfte an einen Polizisten untervermietet. Er garantiert mir Einnahmen und
Sicherheit.“
Nach einem Erfrischungsschluck fuhren Rosi, Hanna und ich mit Carl
Richtung Innenstadt. Auf diesem Wege kamen wir durch den neuen Stadtteil „Venezia“.
„Schaut mal nach rechts! Dort an der Ecke bauen meine Kinder Christin und Max
ihr neues Haus. Das wird wesentlich größer als ihr jetziges. Paul Alfred, mein
Enkel, bekommt eine eigene kleine Wohnetage!“, ließ Hanna voll Stolz verlauten.
Carl machte mich auf weitere Bauwerke aufmerksam, die aus dem
Wüstensand emporschossen. „Dort siehst du unser neues Sportzentrum, hochmodern
mit Poolbereich und Fitnessräumen. Ein Tennisplatz ist gleich dahinter. Daneben
wurden eine deutsche Privatschule gebaut und ein Seniorenheim für
Regierungsbeamte. Diverse Einkaufszentren krönen diese Wohngegend!“
„Ich liebe dieses Urlaubsparadies und verbringe den Jahreswechsel
häufig hier mit den Kindern und Freunden. Das Klima ist einfach fantastisch.“,
ergänzte Rosi.
„Unsere Spaziergänge damals erstreckten sich doch vom Meeresstrand zum
Wüstensand. Einmalig solche Stadtbegrenzungen!“ „Diese Grenzen sehen heute
schon wieder ganz anders aus. Ständig ist man dabei, neues Wüstenland urbar zu
machen.“
Und schon erblickte ich die berüchtigte Seebrücke, die großzügig
angelegte Strandpromenade und die tolle Ferienwohnung meiner Freundin Rosi.
Carl lud das Gepäck aus und trug es in ihr Luxusquartier. Ich stürmte erst
einmal auf den Balkon, um den endlosen Blick auf den Atlantik einzufangen.
Sofort wehte mir ein scharfer Wind entgegen. 42°C Etoshahitze waren längst
vorüber. Hier bekam man wieder einen kühlen Kopf.
„Danke für den Kofferservice, wir sehen uns heute Abend wieder!“,
verabschiedete sich die Freundin.
Carl kam echt ins Komplimentieren, als wir die Ferienwohnung verließen.
„Die Ohlefamilie hat sich ja hier ein traumhaftes Feriendomizil geschaffen. Der
Blick auf das Meer weckt das Gefühl von Freiheit und Abenteuer, einfach
wundervoll!“
Hanna stand für Nels-Immobilien, eine Top-Adresse für alle
Quartiersuchenden und Kaufinteressierten in Swakop. Nach dem Tod ihres Mannes
führte sie gemeinsam mit ihrer Tochter Christin und deren Mann die Firma recht
erfolgreich weiter. Das Team hatte Kunden aus aller Welt mit Rang und Namen.
Das Geschäft befand sich gegenüber des Anwesens der Familie Salomon, so dass
wir gleichzeitig angekommen waren. „Tschüss bis später, muss erst einmal
schauen, ob alles am Laufen ist!“, verabschiedete sie sich.
Durch die gemeinsame Zeit, in der wir auf Entdeckungsreise waren, war
auch die Beziehung zwischen Carl und mir gewachsen. Wir teilten Freude, Ängste,
vertrauten einander mehr als je zuvor und freuten uns auf die Zweisamkeit. Die
nächsten Tage war ich sein Gast. Wir konnten uns ständig sehen, hören, spüren
und uns dem ungezwungenen Gefühl der Liebe hingeben. Damals hatte mich Carl mit
seinem Garten Eden und dem Schlafgemach verzaubert, heute führte er mich in
seine Wohn- und Familienwelt ein. Gebieterisch präsentierte er mir das
Salomon-Reich. Eigentlich waren es zwei zusammengefügte Häuser mit einer großen
Terrasse und einem überdachten Gang vom Stammgeschäftshaus zum Neubau. Im
Innenhof, mit Pool und Grünanlagen, duftete es betörend. Hier konnte man das
ganze Jahr über relaxen und sich vom exotischen Flair verzaubern lassen.
Carls Wohnbereich war recht geräumig, sein Kaminzimmer eine neue Entdeckung.
„Manchmal fängt man auch in Namibia abends an zu frieren und dann finde ich in
diesem Raum Gemütlichkeit. Er war das Lieblingszimmer meiner Frau. Hier umgibt
mich noch heute ihre Wärme, ihr Duft und manchmal glaube ich sogar, Charlottes
Stimme zu vernehmen!“
„Woran ist sie eigentlich so früh verstorben?“ „Ärztepfusch! Es war
eine ganz banale OP, bei der ihr Krankenhauskeime zum Verhängnis geworden sind!“
Mitfühlend umarmten wir uns.
„Die Zeit heilt viele Wunden, aber es bleiben Narben zurück!“, wie ich
wusste. „Lass uns noch einen kurzen Strandspaziergang machen, um die
Vergangenheit abzuschütteln, die nur Ballast für die Seele ist!“
Wenig später standen wir auf der „Jetty“, blickten, mit dem Schicksal
versöhnt, auf die Meereswogen, die auch heute gefährliche Schaumkämme
hochpeitschten. Romantisch gestimmt sah ich den Vögeln zu, die direkt vor
meinen Augen ihre eleganten Bahnen durch die Luft zogen. Und dann und wann
stießen sie einen unüberhörbaren Schrei aus. Ein hoher schriller Ton, der
vielleicht ihre Freiheit am Leben verkündete. Das Glücksgefühl über die
Leichtigkeit, mit der sie über den Dingen schweben konnten, war beneidenswert.
Ob den Tieren wohl bewusst war, welche große Gnade der Natur man ihnen
geschenkt hatte? Genau jetzt wünschte ich mir, ein Vogel zu sein und fliegen zu
können. Meine Flügelschläge würden mich von dem unendlichen Firmament Namibias
bis nach Hamburg bringen. Und dann wäre es unproblematischer, in zwei Welten
leben zu können.
Carl riss mich aus der Träumerei!
„Im Sommer schlägt hier der Puls der Weltzeituhr. Unsere Weihnachtstouristen
kommen aus den verschiedensten Ländern. Deshalb hat man auch diesen hässlichen
Strandhotelbetonklotz gebaut, in dem wir heute zu Abend essen. Ich denke, wir
müssen dorthin aufbrechen.“
Das gemeinsame tiefe Erlebnis im Reich der Wildnis fand also in diesem
Touristenpalast seinen kulinarischen Abschluss. Die drei Freundinnen saßen auf
einer Strandbank und Hanna schimpfte hörbar, als wir ankamen. „Dieser
Riesenpalast durchbricht die idyllische Strandkulisse und passt absolut nicht
in die Flaniermeile mit den kleinen Hafencafès und Kneipen.“ Auch Mia konnte
keinerlei Gefallen an dem neuen Hotelkomplex finden.
Wir wurden in einem großen Saal platziert und das Personal nahm unsere
Bestellungen flotten Schrittes auf. Es herrschte ein lautes Kommen und Gehen,
ohne Safarigemütlichkeit. Wir waren trotzdem frohen Mutes, genossen das leckere
Fischessen und waren glücklich darüber, dass jeder unserer Reisetage ein
anderes und bezauberndes Gesicht hatte.
Nachdem wir die Begeisterung noch einmal Revue passieren ließen,
drehten wir unsere Stühle zum Atlantikschaufenster und schenkten dem
abendlichen Meerestreiben unsere Aufmerksamkeit. Im Licht der Hafenscheinwerfer
erspähten wir mehrere Delphine, die sich im Schutz der Dämmerung bis zum
Badestrand vorgewagt hatten. Insiderwissen von Rosi! „Um diese Zeit gehört der
Strand ihnen, denn die tückischen Ozeanwellen halten die Menschen vom
Badevergnügen ab, weil sie in der Dämmerung nicht mehr einzuschätzen sind. Gefahr
geht auch von den Delphinen selbst aus. Diese Tiere haben schon so manchen
Schwimmer auf nimmer Wiedersehen mitgerissen.“ „Wir sind es gewohnt, mit dieser
Gefahr zu leben!“, ergänzte Mia.
Da fiel mir ein: „Hattest du nicht in einer solch dramatischen
Situation deinen Mann verloren?“ „Es war der schwärzeste Tag meines Lebens,
obwohl die Sonne schien. Er wollte einen Urlauber retten und ist selbst
ertrunken.“ Schweigeminute!
Die Abenddämmerung ging rasch in die rabenschwarze Nacht über und jeder
von uns sehnte sich nach seinem Bett. Meins befand sich in Carls Schlafzimmer.
Wie stark seine Gefühle mir gegenüber waren, wurde mir noch in dieser Nacht
spürbar. Er liebte mich, wie er seine Familie, seine Arbeit und sein Land
liebte, leidenschaftlich ungestüm, voll Zärtlichkeit und Hingabe in einer
berauschenden Mischung aus Wildheit und Kultiviertheit.
Für den folgenden Tag war Frauenpower angesagt. Hanna fuhr mit ihrem Pkw
vor, lud uns ein und auf ging‘s zur Vergnügungstour durch Swakop. Die mit
vielen kleinen Fachwerkhäusern geschmückte Innenstadt lud uns zuerst zum Shoppen
und dann zur Einkehr in das „Deutsche Haus“ ein. „Dieses Luxushotel gehört
übrigens einem Thomas Ehbrecht aus Obernfeld. Er ist als Investmentbanker und
Politiker in Niedersachsen tätig. Zugleich engagiert er sich für Hilfsprojekte
in unserem Land. Hier können wir sogar Neunspringer Bier und deutschen Whisky
trinken.“, wusste Helga.
„Wenn man mal von den dunkelhäutigen Passanten und Geschäftsbesitzern
absieht, könnte man meinen, in deutscher Kleinstadtidylle zu flanieren. Ich
fühle mich keinesfalls fremd hier.“
Auch bei dieser Stadttour setzten sich verschiedenartige Erinnerungen
in meinem Gedächtnis fest. In einem Kunsthof, am Stadtrand gelegen, boten
Afrikaner eine breite Palette der in Handarbeit gefertigten Produkte feil.
Wundervolle Tierschnitzereien, lebensechte Safariporträts, Tischwäsche,
Kleidung und Schmuck zogen die Besucher an. Im Innenportal standen auf einer
Bühne quirlig bunte Kleinkindergestalten. Ihr Anblick war herzerfrischend. Sie
führten mit viel Bewegung, Mimik, Gestik und Gesang ein Programm auf, das uns
fesselte. Begeistert klatschten wir Beifall und erfuhren, dass sie mit ihrem
Weihnachtsprogramm die Spenderherzen erreichen wollen, um das Schulgeld für
minder Bemittelte einzuspielen. Das bunte Gemisch von strahlenden Kinderaugen
ließ uns großzügig werden. „Was für eine warmherzige Begegnung! Ein solches
elternloses Lockenköpfchen wüde ich glatt noch adoptieren!“, schwärmte ich.
Carl hatte sich in der Zwischenzeit um das Geschäft gekümmert und den
jungen Leuten unter die Arme gegriffen. Mit äußerster Zufriedenheit stellte er
fest, dass es auch ohne seine Anwesenheit bestens florierte.
Mia war so nett, uns in ihr Haus zum Abendessen einzuladen. Familie
Shmit aus ihrer holländischen Heimat war ebenfalls zu Gast. Geschäftsleute, mit
denen wir Allerweltsgespräche führten. Als ich am Nachmittag in ihrem
Verkaufsladen eine echt afrikatypische Tasche, Handarbeit, gekauft hatte,
klagte die Inhaberin: „Die meiste Zeit stehe ich alleine im Laden oder sitze an
der Nähmaschine. Kaum hat man ein Mädchen eingestellt und angelernt, wird es
schwanger und bleibt der Arbeit fern. Es ist sehr schwer, brauchbare
Angestellte zu bekommen. Die Schwarzen wollen Geld verdienen, zeigen aber zu
wenig Arbeitsmoral. Das ist Namibia!“
Als wir eintrafen, machte Mia mit uns eine kleine Hausbesichtigung.
Alles war sehr komfortabel und praktisch eingerichtet. Meine Blicke blieben an
der Ahnen- und Familienwand im Flurbereich haften. Dort zeigten sich viele
hübsche, freundlich drein blickende Gesichter. Total beeindruckend! Auf die
Enkelkinder war sie natürlich besonders stolz.
Unsere Freundin wartete mit heimischen Spezialitäten auf. Es gab einen
zauberhaft anders schmeckenden Hackbraten, typisch afrikanisch, ebenso der
Wein. Wir genossen und erzählten bis zur späten Stunde.
„Nachts läuft hier niemand durch die Gegend, das ist viel zu
gefährlich.“ Also wollte uns Hanna zurückfahren. Es klang sehr beunruhigend,
als sie von den Gefahren in Afrika erzählte. „Erst vor wenigen Tagen ist ein
deutsches Farmerehepaar in den frühen Abendstunden von schwarzen Kriminellen überfallen worden.
Als ich den Tathergang in einer Zeitschrift las, schlug es mir Blasen unter die
Haut. „Ein lauer Abend! Stille! Urplötzlich überholte ein hellblauer Pick-up das
Fahrzeug der Farmerfamilie. Und dann ging alles ganz schnell! Der Wagen hielt
an, ein Mann sprang von der Ladefläche, zog eine großkalibrige Pistole und
richtete sie auf den Kopf des Opfers. Dann zwang man beide zum Aussteigen, um in
den Besitz des BMWs zu gelangen. Als der Bedrohte sich den Dieben
entgegenstellte, wurde er brutal abgeknallt. Lediglich seine Frau kam mit einem
Schock davon. Man sollte den Machtanspruch der Schwarzen nie und nirgendwo
unterschätzen!“
Ich saß sinnend im Auto, als Hanna; Rosi, Carl und mich heimwärts
chauffierte. Wiederholt musste ich aber auch feststellen, dass Herzlichkeit,
Unbefangenheit und Gastfreundschaft oberste Priorität bei den Afrikanern haben.
„Ein neuer Tag, ein neues Glück! Es wird Zeit, dass du meine
Arbeitswelt in Augenschein nimmst. Miro und seine Frau freuen sich schon auf
deinen Besuch!“, mit dieser Ansage betraten wir nach dem genüsslichen Frühstück
das renommierte „Salomon Juwelen“ Geschäft im eleganten Citylook. Mit
ungezwungener Fröhlichkeit kam Miro auf mich zu. „Willkommen im
Familienreich!“, sagte er charmant. „Meine Bewunderung gilt der neuen Frau an
Vaters Seite. Schau dich nur um und sage mir dann, was dir besonders gut gefällt!
Wir möchten dir ein Begrüßungsgeschenk machen.“
Carl setzte sich in die Werkstatt ab. Meine Blicke hafteten an den
Schaufensterauslagen, wo es funkelte und glitzerte. Raffiniert angeordnete
Blumenarrangements erregten meine Aufmerksamkeit. Ringe mit verschiedenen
Steinen, die auf einem Lilienstängel prangten, Goldketten, die aus Rosenblüten
sprangen zeugten von wahrer Handwerkskunst. Wie gebannt starrte ich auf die
Ansammlung der außergewöhnlichen Schmuckstücke. Im selben Moment betrat ein
Ehepaar das Geschäft und eine modisch chic gekleidete Dame kam hinter einem
Samtvorhang hervor. Noch bevor sie sich der Kundschaft zuwandte, ertönte die
Stimme des Herrn. „ Einen wunderschönen guten Morgen! Meine Frau hat sich beim
Blick in ihr Schaufenster in eine Goldkette verliebt. Könnten Sie uns die oben
rechts bitte mal zeigen?“
Perfekt deutsch begrüßte mich Carls Schwiegertochter im Vorbeigehen.
Mit geschickten Händen fingerte Susann das gewünschte Stück aus der Auslage und
legte es der Dame um den Hals. „Eine Opalkette, gute Wahl! Sehen Sie die
Regenbogenfarben, sie spiegeln die Vielfalt unserer Emotionen wider!“
Wie verzaubert verharrte die Frau vor dem Spiegel. Entzückt meinte der
Gatte: „Ein so kunstvoll gearbeitetes Schmuckstück kann man nur selten
erwerben.“ Zu seiner Begleiterin gewandt sagte er: „Genau so etwas Wertvolles
und Einzigartiges wollte ich dir zu unserem zwanzigsten Hochzeitstag schenken.
Genau diese Kette ist dir ebenbürtig!“
Mir lachte das Herz, als ich das vernahm.
„Wir haben für jegliche Charaktere das passende Schmuckstück. Ihr
Geschmack ist großartig. Bitte setzen Sie die Opale nicht zu oft dem
Sonnenlicht aus und reinigen Sie die Kette ab und zu in lauwarmem Wasser, dann
haben Sie lange Freude daran!“, riet Carls Schwiegertochter.
Er selbst befand sich bereits wieder im Verkaufsraum und zeigte ein sehr
zufriedenes Gesicht. „Welches Schmuckstück würdest du denn meiner Herzensdame
empfehlen?“, lautete seine Frage.
„Soll das ein Test werden?“, fragte Susen belustigt und trat auf mich
zu. Der Umarmung folgte die Begrüßung.
„Guten Tag Barbara, es freut mich, dich endlich persönlich wieder bei
uns willkommen zu heißen. Mein Schwiegervater erzählt und schwärmt mehr von
Deutschland als von Namibia. Das hat doch etwas zu bedeuten?
Besitzt du Türkisschmuck?“ „Ja, einen Ring, den ich mit Vorliebe
trage.“ „Na, dann schauen wir mal, ob wir dazu eine Ergänzung finden.“ Rasch
streifte mir Susann den Ring vom Finger und reichte ihn an Carl weiter.
„Die Indianer halten diesen Edelstein für einen Beschützer des Körpers,
sprich der Gesundheit!“ „Das ist ja eine bemerkenswerte Deutung!“
„Schließe bitte die Augen und reiche mir die rechte Hand!“, hörte ich
den Schmuckexperten sagen. Als er mein Handgelenk sanft umfasste, hielt ich den
Atem an. „Augen auf!“
Mir verschlug es fast die Sprache, als ich das kostbare Armband bestaunte.
„Was kostet das in Euro, ich möchte es kaufen.“
„Ein Geschenk des Herzens von den Salomons! Nichts ist für mich
kostbarer, als du selbst.“ Mit diesen Worten geleitete er mich in den Garten,
wo seine schwarze Hausperle bereits den Kaffeetisch eingedeckt hatte.
Dann wandelten wir auf Familienspuren, denn Carl erzählte mir, wie er
in Swakopmund gelandet war. „Mein Opa Friedrich ist als Besatzungskind in
dieser zauberhaften Stadt zur Welt gekommen. Seinen Sohn Konrad zog es aber
nach Deutschland, wo er sich in Hamburg beheimatete. Oft erzählte mein Vater
von diesem Tierparadies, der Regenbogennation und den Wüstenspielen, die seine
Erinnerungen festgehalten hatten.
Von Neugierde und Abenteuerlust gepackt, musste ich unbedingt meinen
Großvater und das Märchenreich Namibia kennen lernen. Zielgerichtet schloss ich
meine Lehre als Goldschmied ab, ließ mir von Oma und Opa aus Swakop die
Überfahrt sponsern und wanderte mutterseelenallein aus. Damals war ich gerade
mal 17 Jahre alt. Hoch motiviert vervollkommnete ich meine Sprachkenntnisse und
etablierte mich im Geschäftsalltag. Inzwischen sind meine Eltern verstorben,
lediglich meine Schwester Charlotte ist in Deutschland geblieben. Mein jüngerer
Bruder Konrad ist ebenfalls in das schwarze Herz Afrikas eingetaucht. Du weißt
schon, dessen Frau du mir als Geliebte anhaften wolltest.“
„Wirklich bewundernswert! Ich weiß nicht, ob ich diese Courage
aufgebracht hätte!“
„Das ist ja auch egal. Wichtig ist, dass du jetzt hier bei mir bist und
deine Liebe für dieses Land und mich entdeckt hast. Inzwischen bin ich mit
dieser zweiten Heimat verwurzelt und ich könnte mir kaum vorstellen, dem
Großstadttrubel in Hamburg noch gewachsen zu sein.“
Mit einem Mal wurde es still, ruhig und leise zwischen uns. Ich ließ
Carl in seinen Erinnerungen und Zukunftsvisionen schweben, legte mich in einen
Liegestuhl in Poolnähe und gönnte mir einen Schlummerpäuschen. Plötzlich
drifteten meine Gedanken ab. Ich befand mich in meiner Hamburger Wohnung und
Regen trommelte auf das Hausdach. Mit einem Mal tropfte der Regen sogar in
meinen Kopf. Verzweifelt sprang ich auf, suchte Eimer und Lappen, doch alles
Wischen half nichts. Meine Sinne drohten zu ertrinken. Völlig losgelöst und desorientiert
öffnete ich die Augen. Was hatte dieses Traumbild zu bedeuten? Würden meine
Träume im Ozean untergehen? Ich schwebte im Zustand der Hoffnungslosigkeit und
zuckte zusammen, als der Platz neben mir leer war. Langsam stand ich auf und
schüttelte die irritierenden Hirngespinste ab. Eilig verschwand ich in Carls
Badezimmer und duschte mich frisch. Anschließend machte ich mich zum abendlichen
Familiendinner, das im „Deutschen Haus“ stattfand, besonders schön. Ich wollte
alle Familienmitglieder in meinen Bann ziehen. Wohl überlegt wählte ich ein
super elegantes Leinenkostüm, stylte meinen Blondschopf, beschuhte mich mit
roten Highheels und legte mit Bedacht ein dezentes Makeup auf. Das Armband und
die Versöhnungskette, die er mir nach der Unterstellung des Seitensprungs
geschenkt hatte, schmückten mich als Zeichen der Verbundenheit. Beim Blick in
den Spiegel fühlte ich mich königlich. Mein Strahlen kam von innen und von
außen. „Gewährt mir Einlass!“, säuselte mein Herz.
Der Abend wurde zum Event. Carl stellte mich als die neue Frau an
seiner Seite vor und bekundete ernsthafte Absichten. Enkeltochter Lotta fiel
mir um den Hals mit den Worten: „Du gefallen mir, Barbaratante. Spielen morgen
„Mensch ärgeren dich nicht?“
Sie war so herzerfrischend, dass ich ihr das Spiel bereits zum
Nachtisch versprach.
„Wir sind uns noch uneins in der Wahl der Heimat. Mir ist die
Hansestadt zu hektisch und digital geworden. Babsi hemmen Sprach- und
Anpassungsschwierigkeiten, namibisch zu werden. Ich glaube, wir brauchen noch
Zeit, um herauszufinden, wie wir ein Zusammenleben organisieren könnten.“
Damit waren die Fronten geklärt. Erstaunt und glücklich über diese
Harmonie setzten wir zwei uns noch mit einer Flasche Kapwein an den Strand, um
im Sonnenuntergangsspektakel die Gedanken versinken zu lassen. Der Himmelsball
warf goldene Funken ins Meer und brachte auch unsere Herzen zum Glühen.
Versöhnt mit dem Tag, schmiegte ich mich an Carls Schulter. Im selben
Augenblick zog er mich an seinen Körper, Gesicht an Gesicht und zeigte mir
seine intensive Lust. „Lass uns nach Hause gehen, da können wir unserer
Sinneslust ungeniert folgen.“
Als wir im Kaminzimmer angekommen waren, merkte ich, wie endlos mein
Verlangen nach diesem Mann war. „Bitte hier nicht, lass uns ins Schlafzimmer gehen!“
Aus Rücksicht darauf, keine Erinnerungen an seine Frau aufkommen zu lassen,
folgte ich ihm.
Carl entblößte seinen noch attraktiven Körper, er war auf naive Weise
stolz, Frauen zu gefallen. Ich gab mir große Mühe, mich nicht als Lustobjekt zu
verhalten und jenen kleinen Neigungen zur ordinären Schlüpfrigkeit nachzugeben.
Aber dann erschauerte ich unter den Liebkosungen dieses Mannes, der mit sanften
Fingern die Spitzen meiner Brüste berührte. Unverzüglich liebten wir uns mit
wilder Begierde, bis wir den Zustand der körperlichen und seelischen
Zufriedenheit erreicht hatten.
In den letzten Jahren war mein Leben viel zu ausgefüllt und von
Leistungsdruck bestimmt gewesen, als dass ich Muße gehabt hätte, so zu lieben.
Hier in diesem Land umgab mich ein gefährlicher Zauber, der den Alltag
verdrängte. Ich hatte plötzlich die Sorglosigkeit verloren und gab mich den
Gefühlen hin. Die Versuchung war groß, aber die Realität bedenklich.
Zum Abschied war noch einmal Teamwork angesagt. Carl, als
Frauenversteher, übernahm den VW-Bus und steuerte die gewünschten Richtungen
an. „Dir zuliebe natürlich!“, flüsterte er.
Rosi hatte zum Frühstück eingeladen und Hanna zu einem besonderen
Ausflug in die sogenannte „Mondlandschaft“. Wir starteten zeitig, um dem
Erlebnis genügend Raum zu geben. Gegen neun wirbelten wir die Sandpiste
Richtung Inland hoch und runter, vorbei an Farmeroasen, Minenbergwerken und
Solaranlagen zum Golfplatzrestaurant. Ein riesiger Sportkomplex, den man mitten
in die Wüste hingezaubert hatte. Alles so beeindruckend, genial gegliedert und
als Begegnungsstätte für Mensch und Tier konzipiert.
Auf dem Restauranthügel ließen wir uns in die Terrassensessel fallen.
Meine erstaunten Blicke flogen über den grasgrünen Golfplatz, großflächig und
kulturvoll angelegt. Hier gaben sich sogar die Wildtiere ein Stelldichein,
natürlich ohne Handschuhe, Schläger und Bälle. Für mich kaum zu glauben, dass
eine solch moderne Sportstätte inmitten der Sandwüste zum Leben erweckt wurde.
„Alles eine Frage der Bewässerungsanlagen. Die Wüste urbar zu machen ist heute
nicht mehr unmöglich.“, so Helga.
Wir frühstückten je nach Belieben verführerisch süß oder deftig lecker wildfleischig,
mit Blick auf die Filmkulisse. An einem Ende wurde der Nachwuchs trainiert, am
anderen fanden Wettkämpfe statt und mittendrin hatte man einfach nur Spaß am
Spiel. Auch Hannas Kinder waren in Aktion.
„Auf geht’s zur Mondlandschaft!“, erschallte Mias Stimme. Nun übernahm sie
das Steuer. Bevor wir in die Berge tuckerten, ließ ich meine Blicke noch einmal
über das endlose Blau des Ozeans schweifen. Der Glutball der Sonne war
inzwischen ein gutes Stück über den Horizont gestiegen und verwandelte den Atlantikstrom
in flüssiges Gold. Möwen zogen ihre Bahnen und eine kühle Brise wehte mir um
die Nase. Ich atmete Freiheit!
Die Wege glichen Sandpisten, nur teilweise exakt beschildert. Einige
Jeeps und Radextremsportler kreuzten unsere Fahrbahn. Ein Holtern und Poltern
rüttelte uns vorwärts. Dann Stopp! Sensation! Eine Gästefarmoase in der Einöde!
Wir erfrischten uns und bestaunten den Streichelzoo.
Unsere Weiterfahrt war utopisch: felsig, leblos, orangebraun und
schwarzgoldig. „Hier lagern diverse Erzreichtümer!“, betonte Carl.
Felsformationen, gefährliche Schluchten und Steinkolosse in unüberwindbaren
Größenordnungen prägten das Naturbild.
„Unglaublich, diese Mondlandschaft. Ich komme mir vor wie in einer
virtuellen Welt!“
„Und genau darum ist dieses Reich zur Fantasiekulisse geworden. Die
abenteuerlichsten Szenen werden hier gedreht. Die bekanntesten Schauspieler und
Regisseure haben sich bei uns schon einquartiert oder gar ein Feriendomizil
gekauft, so wie Angelina Jolie und Brad Pitt. Trotz Trennung werden sie wohl
noch weiterhin hierher kommen. Die Weihnachtsfeiertage verbrachten sie meist
mit Kinder- und Bedienstetenschar in Swakop!“, erzählte Hanna.
„Diese Naturwunderlandschaft wurde bereits vor zwei Millionen Jahren
geprägt. Hier hat Namibias Nationalpflanze, die Welwitschia Mirabilis, ihr
Reich, ein lebendes Fossil!“, so Carl.
Wenige Meter weiter entdeckte ich ein Superexemplar dieser Gattung. Ein
Parkplatz, eine Infotafel und ein umzäuntes, halb vertrocknet wirkendes
Pflanzenmonster bot sich unseren Blicken. Zum Bestaunen freigegeben! „Diese
Welwitschia ist etwa 1500 Jahre alt. Sie ernährt sich durch 200 m lange
Wurzeln, die irgendwo auf Grundwasser stoßen.“, war zu lesen. „Einfach
unglaublich, grandios!“, entfuhr es mir. Augenblicklich fühlte ich mich in das
Reich der Kyklopen versetzt, wo die Natur überdimensionale Gebilde geprägt
hatte, gegen die wir Menschlinge wie Winzlinge erschienen.
Nach etwa einer Stunde näherten wir uns wieder der Zivilisation. Den
krönenden Tagesausklang fanden wir bei Hannas Kindern. Sie empfingen uns mit
einer umwerfenden Herzlichkeit und überraschten mich mit einem Lammgericht, das
ich zuvor nie sonderlich gemocht hatte. Aber diese Art der Zubereitung
entkräftete sämtliche Vorurteile. Es war eben ein Gemüse-Kartoffel-Lammtopf auf
namibisch, im Kessel auf offenem Feuer gegart. Begeistert verlangte ich
Nachschlag, ohne hinter das Geheimnis der Zubereitung gekommen zu sein. Andere
Länder, andere Gerichte!
„Da gibt es noch so viel mehr, was du nicht kennst und lieben lernen
solltest!“, resümierte mein Romeo.
Diese freundschaftliche, warmherzige und familiäre Begegnung berührte mein
Herz. Und schon wieder hatte ich neue Liebesbande geknüpft.
Alles hat einen Anfang und ein Ende, das besonders Schöne geht immer
viel zu schnell vorbei. Abgang, Abschied, Abflug, die Zeit war programmiert!
Schwermütig musste ich mich von allem verabschieden, was mir lieb geworden war.
Aber ich wusste, dass es keine Trennung für immer geben würde. Der Zauber
Namibias hatte mich aufs Neue gefesselt. Mein Herz pochte laut und die
Dankbarkeit war unendlich, als meine Freundin Rosi und ich alleine nach Windhoek
mit dem Bustaxi zurück reisten. Dort verbrachte ich noch einen wunderschönen
Tag mit dem Ohlefriseurteam und genoss die Liebenswürdigkeit von Gaby, Patrick
und dem Rosijuwel, die inzwischen familiäre Formen angenommen hatte.
Auf der Fahrt zum Flughafen fühlte ich Abschiedsschmerz. Sogar die
Tierwelt schien mir „Tschüss!“ sagen zu wollen. Die Affen tanzten am
Straßenrand und eine Schweinchengesellschaft ließ uns kurz stoppen.
Ich atmete ganz flach, als ich sie quietschen hörte: „Bleibe hier!
Namibia liebt dich!“ Mit einem hilflosen Blick säuselte ich in mich hinein:
„Ihr habt gut reden, mein Leben ist eingerahmt.“
Zum Abschied wanderten meine feuchten Augen noch einmal in die gefühlte
Unendlichkeit dieses Landes. Mein Höhenflug endete mit dem Air-Namibia-Flug
nach Frankfurt. „In wenigen Minuten landen wir, bitte schnallen Sie sich an!“
Kälte ummantelte mich, als ich in Deutschland ankam. Tierbegegnungen
tanzten noch vor meinen Blicken, Schwarze schienen meine Wege zu kreuzen. Rasch
wischte ich mir die brennenden Erinnerungen aus den Augen, rief ein Taxi und
fand mich damit ab, wieder in den Leistungsstrudel eintauchen zu müssen. Hier
war mein Zuhause, wo ich gebraucht wurde und die Pflichten warteten.
Letztendlich ist das Leben ja kein endloses Urlaubsparadies.
Wie ich so alleine in meinen vertrauten vier Wänden stand, kam ich mir
etwas verloren vor. Beim Kofferauspacken geriet ich bereits in den Zwiespalt
der Gefühle. „Hier bin ich eine angesehene Geschäftsfrau, genieße Ansehen und
Vertrauen und kann am Leben meiner Söhne teilhaben, vielleicht sogar bald
Omafreuden auskosten!“
Nun der Widerspruch: „Was glaubst du, wie es Carl ohne dich jetzt geht?
Hat er dir nicht bewiesen, dass er zu dir steht? Er liebt dich!“, gab mein
Gewissen zu bedenken. Es brauchte Zeit, um alles im Rahmen der Möglichkeiten zu
regeln.
Früh am Morgen wachte ich auf und sprang regelrecht aus meinem Bett, um
wieder Orientierung zu bekommen. Das Wiedersehen mit Kay und Tim sollte erst
nach Feierabend gefeiert werden.
Also hatte ich Zeit zur Besinnung. Frühstück allein! War nicht so
prickelnd! Danach zog ich mich adrett an und lief ziellos durch Hamburgs
Gassen, um wieder Bodenständigkeit zu finden. Im ersten Moment wirkte meine
Heimat eng, wie zugeknöpft. Hier hatte ich aber meine Bestimmung, mein
Lebensraum und die Familie. Raschen Schrittes eilte ich zum Hafen, um das
Fernweh abzukühlen. Das Wasser war trübe. Viele Schiffe und Motoryachten waren
vor Anker gegangen. In weiter Ferne sichtete ich ein riesiges Kreuzfahrtschiff.
Ob es wohl Richtung Südafrika ausgelaufen war? Erst, als ich dorthin schaute,
wo die Wolken den Horizont zu berühren schienen, entkrampfte sich die Enge in
meiner Brust.
Wie im Trance ließ ich mich auf eine Promenadenbank fallen, schloss die
Augen und küsste mein Namibia. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich in zwei
Welten schwebte, die mir beide boten, was der Mensch zum Leben brauchte:
Familie, Existenzgrundlage, Freunde, Freiheit, Glück, Geborgenheit und Liebe.
Die Wünsche und Träume kompensierten sich sowohl in Namibia als auch in
Deutschland. Also war ich ein Glückspilz, weil ich so einen großen Möglichkeitenspielraum
hatte. Deutscher Leistungsdruck, deutsche Gründlichkeit und Zuverlässigkeit
gestalteten mein Dasein wesentlich stressiger. Die Zeit schien einem hier
regelrecht davon zu rennen. Anders als im namibischen Alltag, wo Gelassenheit,
Ruhe und Lebenslust regierten. Carl und auch meine Freundinnen wirkten stets
auf mich entspannt, besonnen und begegneten dem Zeitgeschehen mit Gelassenheit.
Diese Mentalität verlieh mir afrikanische Flügel. Dort schwebte ich über den
Dingen. Namibia hatte an meiner Lebensuhr gedreht, die aus dem Takt zu geraten
schien.
Besonders der Gentleman, Carl Salomon, hatte mich aus dem Gleichgewicht
katapultiert. Dieses neu entfachte Liebesleben wirbelte meinen Verstand und die
Sinne schon durcheinander. Nun hieß es, Courage zu zeigen, den Überblick zu
behalten und den Gefühlen nicht die Regie zu überlassen.
Als meine Söhne eintrafen, wurde ich wieder ganz Mutter. Ihnen galten
jetzt und hier meine Wünsche und Träume. Im Erlebnisfieber gelang es mir, bis
Mitternacht die markantesten Eindrücke zu schildern.
„Wie mir scheint, hast du dein Herz in Namibia verloren. Aber ich
hoffe, dass dieser Zustand nur ein Urlaubsfieber ist!“, bemerkte Kay.
Im Wirbelwind der Gefühle fand ich noch keine Ruhe. Zur Besänftigung
legte ich die DVD meines Lieblingsfilms ein: „Titanic“. Schon schwebte ich im
Abenteuerrausch. Wie unglaublich waren doch die Distanzen zwischen den
Liebenden, wie katastrophal ihr Schicksal. Wie stets, von Ergriffenheit gelähmt
und Mitgefühl besetzt, rannen mir die Tränen über die geröteten Wangen. Nach
einer Gedenkminute versank ich noch mit einem Glas Kapwein in meinem Terrassensessel.
Es sind die schönsten Momente des Tages, wenn abends die Sonne untergeht, die
nächtliche Dunkelheit das Himmelszelt besetzt und die Sterne leuchten! Ich
suchte Sternenbilder und fand den kleinen Wagen. Ob ich wohl mit dem bis
Swakopmund käme? Sicher nur auf den Himmelswegen, denn es trennten uns ungefähr
16 000 km.
Nun sprach mein Herz: „Aber Liebesgefühle kann man nicht trennen, man
kann sie lediglich vertagen oder begraben. Ein Leben ohne Liebe ist wie ein Tag
ohne Licht.“ In diesem Moment war ich mir sicher, dass Carl und ich eine
gemeinsame Zukunft hatten. Wie diese aussehen würde, stand leider noch in den
Sternen.