Schlachtefest im Hause Ehrenberg
Erinnerungen, die uns auch heute noch ein Schmunzeln ins
Gesicht zaubern.
Die Hausschlachtung war ein besonders freudiges Ereignis,
das einst zum Leben auf dem Bauernhof dazu gehörte. Dieses wurde zünftig
gefeiert, weil man damit die Ernährung
der Familie für einige Monate absichern
konnte. Die Saison begann Ende Oktober und endete meistens im Februar des neuen
Jahres.
Rückte der lange vorbestellte Termin heran, geriet die
Familie ins Schlachtefieber. Nun mussten viele Vorbereitungen getroffen werden.
Die Waschküche mit zwei Kesseln und Backofen wurde peinlichst gesäubert. Handtücher,
Wischlappen, Schlachteschürzen nebst
Gummistiefel kamen an ihren Platz. Die notwendigen Gewürze, wie
Knoblauch, Zwiebeln, Majoran, Kalisalpeter, Piment, Koriander, Musskatnuss,
Kümmel, Senfkörner, Pfeffer, Salz, Zucker und Essig standen bereit. Auch die
Därme, ob natürlich oder künstlich, warteten darauf, gefüllt zu werden. Die
Mengen richteten sich nach der Größe des Schlachttieres. Weißbrotwürfel für die
Weckewurst durften auch nicht fehlen. Mein Schwiegervater war stets bestrebt,
alles zur Genüge im Haus zu haben.
Am Vorabend der fleischigen Prozedur holte man das
Schlachtegeschirr, meist Eigentum des Schlachters, dort ab, wo es zuletzt gebraucht
wurde. In der Hochsaison wanderte es von
Haus zu Haus.
Die Frauen hatten ebenfalls viel zu tun, denn es sollte
ja ein Fest werden. So wurde fleißig
gebacken, gekocht und gewerkelt Die Nudeln für die Schlachtesuppe
mussten gewalzt werden, Grünkohl, Sauerkraut und Rosenkohl hatte man vorgegart,
die Kartoffeln geschält und die Einkochgläser heiß gespült.
So gegen 6.30 Uhr am nächsten Morgen erschien
Schlachteonkel Heinrich. Er checkte die Lage und überprüfte seine
Gerätschaften. Die Helfer standen bereit, das Wasser in den Kesseln begann zu
brodeln. Jeder kannte seine Aufgabe und
der Morgenkaffee war gekocht.
Der erste Schlachteakt wurde jedes Mal recht spannend,
wenn das Zentnertier nichtsahnend im Stroh der Einzelbox schlummernd, aus dem
Schlaf gerissen wurde. Ein Sauschwein, das bis zu 250 kg auf die Waage brachte,
musste manchmal gebändigt werden. So begann der Kampf „Mensch gegen Tier“. Stets
setzte sich das Schlachttier zur Wehr, büxte unerwartet wieder aus oder machte
sich steif. Manchmal kam es auch vor, dass mein Mann beim Einfangen eine
Bauchlandung machte. Hatte man das Opfertier endlich zur Strecke gebracht, wurde
der Schussapparat zielsicher angesetzt. Unser späterer Schlachtemeister Ludwig
aus Asbach legte immer sehr viel Wert darauf, dass bereits die erste Patrone
ein Schweineleben aushauchte.
Nun ging alles zügig voran: Abstechen, Blut auffangen,
abbrühen, enthaaren und Fell abziehen. Ludwig, Bauer Ehrenberg und seine drei
Söhne waren ein eingespieltes Schlachteteam.
„Wenn das Schwein am Haken hängt, wird der Erste
eingeschenkt!“ Traditionsgemäß fiel dieser Spruch so gegen 8.00Uhr und dann
hieß es „Prost!“. Danach brach der Schlachtemeister akribisch und gekonnt das Tier auf. Unbrauchbares wurde
entsorgt, die verwertbaren Teile zerlegt und in einzelne Holzmuhlen sortiert. Zwischenzeitlich kam unser Opa
Wilhelm als Fleischbeschauer ins Spiel. Nach ihm überprüfte Gerhard Rossi aus
Lindewerra das Fleisch. War alles ok, gab es Action in der Schlachtestube. Für
die Rohverarbeitung schnitten Ehrenbergs Jungs die Fleischteile zurecht. Ein
gewisser Anteil an Fettmasse gehörte natürlich auch dazu. Das Kochfleisch
landete im Wasserkessel.
Zuerst wurde das Gehacktesfleisch durchgedreht, die
Grundlage für die rote Wurst und das Highlight zum Frühstück, warm, würzig, frisch.
Mit dem Würzen nahm man es sehr genau, je nach Geschmack wurde entschieden, ob
scharf oder lasch, ob mit Koriander oder ohne. Die richtige Komposition verlieh
jeder Wurstsorte ihren einzigartigen Geschmack. Beim Frühstück so zwischen 9.30
Uhr und 10.00Uhr fand dann die letzte Verkostung statt. Alle langten genüsslich zu und gaben ihr Urteil ab. Das erste Gehacktesbrötchen war stets ein
Hochgenuss.
Frisch gestärkt ging es dann im wahrsten Sinne des Wortes
an die Wurst. Die Gehacktesmasse wurde in Därme gedreht, rund oder länglich.
Meister Ludwig übernahm das Stopfen und Schwager Hartwig das Binden. Schwager
Gustav hing die frischen Würste mit zufriedener Miene auf die Stangen. Eine
ganz besondere Behandlung bekamen unsere Feldgieker. Die vom Flomenfett
abgezogene Haut wurde kurz getrocknet, zylindrisch zugeschnitten und zusammengenäht.
Natur pur! Das tat meine Schwiegermutter höchst persönlich, mit geschickten
Händen, Nadel und Zwirn. War die Keule
fest gestopft, wurde sie angestochen, damit die Luft entweichen konnte. Die
Reifeprozedur oblag meinem Schwiegervater. Zuerst wurde die dicke Wurst zum
Ausgären in die Wurstekammer auf dem Dachboden gehängt und mehrmals mit
Salzwasser abgewaschen. Nach etwa vier Wochen kam sie dann in den
Räucherschrank, der mit Wacholderreisig von den Dieteröder Klippen und
Buchenspänen aufgeheizt wurde. Je nach Belieben ließ man die Würste zwei bis vier
Tage im Rauch. Blutwürste, Garwurstblasen mit Zunge, Leberwürste oder
Eisbeinkeulen kamen ebenfalls in die Räucherkammer. Allein der Geruch, der aus
dem verzinkten Schrank entwich, kitzelte schon sämtlich Geschmacksnerven. Ausgereift
ist eine solche Superwurst nach drei bis vier Monaten und dann kommt sie zu
besonderen Anlässen auf den Tisch.
Am späten Nachmittag war das Schlachteereignis vollbracht
und wurde mit dem Kaffetrinken abgeschlossen. Damit waren aber längst noch
nicht alle Vorräte in Gläsern, Schüsseln oder Töpfen. Etliche Einmachgläser
mussten noch mit Schlachtebrühe und
angebratenen Rippchen gefüllt werden. Fett wurde ausgelassen und die
Knochen in Sole gelegt. Meist verbrachte man damit noch zwei Tage.
Am Abend hatte der Schlachtekohl erst einmal Vorrang und
wurde zur Krönung des Tages. Sämtliche Wurstsorten kamen nach der
Schlachtesuppe warm oder kalt auf den Tisch. Außerdem gab es lecker zubereitetes
Kesselfleisch und Bratklößchen. Zum
Nachtisch brauchte man natürlich einen Verdauerli.
Bei diesem Essen verflogen die Anstrengungen des Tages
rasch und man geriet in ein lustiges Geplaudere mit der Gewissheit, dass der
Vorratskeller und die Wurstekammer wieder gefüllt waren.
Irmhild Ehrenberg,
3. Oktober 2018