Donnerstag, 31. Januar 2019

Winterzeit - Schlachtezeit - Feldgiekerzeit

      

                                       Schlachtefest  im Hause Ehrenberg
Erinnerungen, die uns auch heute noch ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern.
Die Hausschlachtung war ein besonders freudiges Ereignis, das einst zum Leben auf dem Bauernhof dazu gehörte. Dieses wurde zünftig gefeiert, weil  man damit die Ernährung der Familie  für einige Monate absichern konnte. Die Saison begann Ende Oktober und endete meistens im Februar des neuen Jahres.
Rückte der lange vorbestellte Termin heran, geriet die Familie ins Schlachtefieber. Nun mussten viele Vorbereitungen getroffen werden. Die Waschküche mit zwei Kesseln und Backofen wurde peinlichst gesäubert. Handtücher, Wischlappen, Schlachteschürzen nebst  Gummistiefel kamen an ihren Platz. Die notwendigen Gewürze, wie Knoblauch, Zwiebeln, Majoran, Kalisalpeter, Piment, Koriander, Musskatnuss, Kümmel, Senfkörner, Pfeffer, Salz, Zucker und Essig standen bereit. Auch die Därme, ob natürlich oder künstlich, warteten darauf, gefüllt zu werden. Die Mengen richteten sich nach der Größe des Schlachttieres. Weißbrotwürfel für die Weckewurst durften auch nicht fehlen. Mein Schwiegervater war stets bestrebt, alles zur Genüge im Haus zu haben.
Am Vorabend der fleischigen Prozedur holte man das Schlachtegeschirr, meist Eigentum des Schlachters, dort ab, wo es zuletzt gebraucht wurde. In der Hochsaison  wanderte es von Haus zu Haus.
Die Frauen hatten ebenfalls viel zu tun, denn es sollte ja ein Fest werden. So wurde fleißig  gebacken, gekocht und gewerkelt Die Nudeln für die Schlachtesuppe mussten gewalzt werden, Grünkohl, Sauerkraut und Rosenkohl hatte man vorgegart, die Kartoffeln geschält und die Einkochgläser heiß gespült.
So gegen 6.30 Uhr am nächsten Morgen erschien Schlachteonkel Heinrich. Er checkte die Lage und überprüfte seine Gerätschaften. Die Helfer standen bereit, das Wasser in den Kesseln begann zu brodeln. Jeder kannte seine Aufgabe  und der  Morgenkaffee war gekocht.
Der erste Schlachteakt wurde jedes Mal recht spannend, wenn das Zentnertier nichtsahnend im Stroh der Einzelbox schlummernd, aus dem Schlaf gerissen wurde. Ein Sauschwein, das bis zu 250 kg auf die Waage brachte, musste manchmal gebändigt werden. So begann der Kampf „Mensch gegen Tier“. Stets setzte sich das Schlachttier zur Wehr, büxte unerwartet wieder aus oder machte sich steif. Manchmal kam es auch vor, dass mein Mann beim Einfangen eine Bauchlandung machte. Hatte man das Opfertier endlich zur Strecke gebracht, wurde der Schussapparat zielsicher angesetzt. Unser späterer Schlachtemeister Ludwig aus Asbach legte immer sehr viel Wert darauf, dass bereits die erste Patrone ein Schweineleben aushauchte.
Nun ging alles zügig voran: Abstechen, Blut auffangen, abbrühen, enthaaren und Fell abziehen. Ludwig, Bauer Ehrenberg und seine drei Söhne waren ein eingespieltes Schlachteteam.
„Wenn das Schwein am Haken hängt, wird der Erste eingeschenkt!“ Traditionsgemäß fiel dieser Spruch so gegen 8.00Uhr und dann hieß es „Prost!“. Danach brach der Schlachtemeister akribisch  und gekonnt das Tier auf. Unbrauchbares wurde entsorgt, die verwertbaren Teile zerlegt und in einzelne Holzmuhlen  sortiert. Zwischenzeitlich kam unser Opa Wilhelm als Fleischbeschauer ins Spiel. Nach ihm überprüfte Gerhard Rossi aus Lindewerra das Fleisch. War alles ok, gab es Action in der Schlachtestube. Für die Rohverarbeitung schnitten Ehrenbergs Jungs die Fleischteile zurecht. Ein gewisser Anteil an Fettmasse gehörte natürlich auch dazu. Das Kochfleisch landete im Wasserkessel.
Zuerst wurde das Gehacktesfleisch durchgedreht, die Grundlage für die rote Wurst und das Highlight zum Frühstück, warm, würzig, frisch. Mit dem Würzen nahm man es sehr genau, je nach Geschmack wurde entschieden, ob scharf oder lasch, ob mit Koriander oder ohne. Die richtige Komposition verlieh jeder Wurstsorte ihren einzigartigen Geschmack. Beim Frühstück so zwischen 9.30 Uhr und 10.00Uhr fand dann die letzte Verkostung statt. Alle langten  genüsslich zu und gaben ihr Urteil ab.  Das erste Gehacktesbrötchen war stets ein Hochgenuss.
Frisch gestärkt ging es dann im wahrsten Sinne des Wortes an die Wurst. Die Gehacktesmasse wurde in Därme gedreht, rund oder länglich. Meister Ludwig übernahm das Stopfen und Schwager Hartwig das Binden. Schwager Gustav hing die frischen Würste mit zufriedener Miene auf die Stangen. Eine ganz besondere Behandlung bekamen unsere Feldgieker. Die vom Flomenfett abgezogene Haut wurde kurz getrocknet, zylindrisch zugeschnitten und zusammengenäht. Natur pur! Das tat meine Schwiegermutter höchst persönlich, mit geschickten Händen, Nadel und Zwirn.  War die Keule fest gestopft, wurde sie angestochen, damit die Luft entweichen konnte. Die Reifeprozedur oblag meinem Schwiegervater. Zuerst wurde die dicke Wurst zum Ausgären in die Wurstekammer auf dem Dachboden gehängt und mehrmals mit Salzwasser abgewaschen. Nach etwa vier Wochen kam sie dann in den Räucherschrank, der mit Wacholderreisig von den Dieteröder Klippen und Buchenspänen aufgeheizt wurde. Je nach Belieben ließ man die Würste zwei bis vier Tage im Rauch. Blutwürste, Garwurstblasen mit Zunge, Leberwürste oder Eisbeinkeulen kamen ebenfalls in die Räucherkammer. Allein der Geruch, der aus dem verzinkten Schrank entwich, kitzelte schon sämtlich Geschmacksnerven. Ausgereift ist eine solche Superwurst nach drei bis vier Monaten und dann kommt sie zu besonderen Anlässen auf den Tisch.
Am späten Nachmittag war das Schlachteereignis vollbracht und wurde mit dem Kaffetrinken abgeschlossen. Damit waren aber längst noch nicht alle Vorräte in Gläsern, Schüsseln oder Töpfen. Etliche Einmachgläser mussten noch mit Schlachtebrühe und  angebratenen Rippchen gefüllt werden. Fett wurde ausgelassen und die Knochen in Sole gelegt. Meist verbrachte man damit noch zwei Tage.
Am Abend hatte der Schlachtekohl erst einmal Vorrang und wurde zur Krönung des Tages. Sämtliche Wurstsorten kamen nach der Schlachtesuppe warm oder kalt auf den Tisch. Außerdem gab es lecker zubereitetes Kesselfleisch und  Bratklößchen. Zum Nachtisch brauchte man natürlich einen Verdauerli.
Bei diesem Essen verflogen die Anstrengungen des Tages rasch und man geriet in ein lustiges Geplaudere mit der Gewissheit, dass der Vorratskeller und die Wurstekammer wieder gefüllt waren.

Irmhild Ehrenberg,     3. Oktober 2018







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