Als Hanna
merkte, dass ich wehmütig gestimmt in unserem Safari-VW meinen Platz einnahm,
tröstete sie: „Das Highlight unserer Abenteuertour steht uns ja noch bevor.
Wenn du erst einmal das unvergessliche Panorama der Etosha-Pfanne eingefangen
hast, werden deine Sinne flimmern. Der Nationalpark misst etwa 300 km von Ost
nach West und 100 km von Nord nach Süd. Rund 30 künstlich angelegte Wasserstellen
und Quellen locken Tiere an, die dort aus relativ größter Nähe beobachtet
werden können. Hier kann man die ursprüngliche Wildnis erleben und ist
mittendrin im Tagkino. „Etosha“ bedeutet in der Ovambosprache: Dort, wo kein
Wasser ist. Wenn man die salzverkrustete Pfanne durchquert und den flimmernden
Luftspiegelungen der Mittagshitze ausgesetzt ist, spürt man etwas von
Unendlichkeit und Ewigkeit!“
Wie
gebannt, lauschte ich ihren Worten, die mir einen Ort deuteten, an dem der
Himmel die Erde zu küssen schien. Ich war bereit für ein neues Wagnis und
wollte dieses Namibia mit all seinen Facetten und Widersprüchen aufspüren,
erkunden und lieben lernen.
„Auf geht
es also gen Norden!“, verkündete der Chauffeur, während er das Lenkrad
übernahm. Mich ergriff ein Gefühl überschäumender Lebensfreude. Baumbesetzte
Steppen und Savannen, immer üppiger werdende Buschwälder, grünes Weideland,
aber auch vertrocknete Dornensträucher flogen an uns vorbei. Nun eine
Teerstraße, schmal, staubig, Siedlerhütten links und rechts. Menschen und Tiere
teilten sich die Unterkünfte.
Es war
Wochenende, Feiertags- und Kirchgangsstimmung. Die Straßenränder wurden
plötzlich mit Lebewesen geschmückt. Schwarze kamen stolzen Schrittes aus ihren
ärmlichen Behausungen heraus, um zum nächsten Gotteshaus zu pilgern. Sie trugen
alle Sonntagskleidung. Dunkelhäutige, weiß beflaggt! Frauen, elegant gekleidet
und Kinderscharen hüpften in neonfarbigen T-Shirts froh gestimmt neben den
Erwachsenen her. Ältere trugen Klappstühle, um sich einen Sitzplatz zu sichern.
Es offenbarte sich uns eine friedliche, wohlgefällige Welt. „Für mich
unvorstellbar, wie gebügelt, geschniegelt und geweißt die ihren Hütten entspringen.
Die Kleiderordnung ist perfekt sonntäglich und die Freude in den dunklen
Gesichtern echt.“
„Ich finde
ja die bunten Gummibärchen, schwarz gelockt, so exotisch niedlich. Diese Kinder
sind eine Schöpfung der absoluten Schönheit!“, schwärmte Rosi.
Ziegenduell
auf der Straßenmitte! Unser Hupen beendete den Zweikampf. Meine Handykamera
hielt diese bewegenden Momente fest, ebenso wie das Afrikataxi, ein
Pritschenwagen, total überladen, mit Krusselköpfen, die uns freundlich
zuwinkten. Nun erstaunten mich Ziegenhirten in Hawaiihemden, die nur auf ihre
Handys starrten, statt die Tiere zusammenzuhalten.
Um die
Mittagszeit erreichten wir Shighuru, eine moderne Kleinstadt. Das Thermometer
war inzwischen auf 32 Grad C hochgeklettert. Grund für eine Verschnaufpause.
Mich erstaunten die Kondomautomaten in den WCs. „Diese Vorsorge war eine sehr
wichtige Regierungsmaßnahme zur Eindämmung der Aidsgefahr. Die Afrikaner brauchen
Aufklärung!“
„In etwa
einer Stunde machen wir noch einen Zwischenstopp, um dir eine weitere
Attraktion zu zeigen!“, bemerkte Carl. Schon bald erfuhr ich von Hanna, dass es
sich um einen sagenumwobenen Bergsee handelte. Auf dem Grund sollen noch
Schätze und Munition aus dem ersten Weltkrieg zu finden sein. Deshalb ist der
Ort auch ein Taucherparadies geworden. Über die Bergung wird nur orakelt.“
Inzwischen
hatten wir etwa 700 km durch Namibias Norden zurückgelegt. Abseits der Fahrbahn
suchten wir den Weg zur Übernachtungsfarm. Holter di Polter erreichten wir das
Eingangsportal, über dem „Sachsenheim“ prangte. Unter dem Schild war zu lesen:
„Sie kommen als Fremde und gehen als Freunde.“
„Klingt ja
verheißungsvoll! Hat sich hier etwa ein deutscher Sachse beheimatet?“, fragte
ich ungläubig.
„Wir
werden es herausfinden. Bei uns ist nichts unmöglich.“, meinte Rosi. Eine
kleine, aber recht gemütliche Wohnanlage, offenbarte sich unseren neugierigen
Blicken. Das Farmerhaus, im Westernstil angelegt, hatte eine große Terrasse,
auf der wir mit duftendem Kaffee und verführerischer Schokoladentorte
willkommen geheißen wurden. Unsere Gästebungalows waren ebenso einladend.
Nachdem wir die Zweibettzimmer in Besitz genommen hatten, trieb uns die Hitze
zuerst in den Pool, der Abkühlung versprach. Beim Planschen und Schwimmen
wurden uns Getränke gereicht, wir flunkerten, resümierten, lachten und
prosteten dem Glück entgegen. Wie von Zauberhand geschoben, zogen urplötzlich
schwere dunkle Regenwolken auf und schwärzten den Horizont. In Windeseile
entluden sich dramatische Himmelsformationen.
„Namibiaregen!
Platzregen!“, jubelte Rosi. Unter dem Vordach sitzend, staunten wir über die
großen Pfützen, die der Regen malte. „Dieser warme Guss ist für die Tier- und
Pflanzenwelt ein Wachstumssegen!“ So heftig wie das Wasser niedergeprasselt
war, so rasch versiegten die Regentropfen auch wieder und die Sonne erleuchtete
den Nachmittag, an dem wir noch auf Erkundungstour gingen
Um 18.00
Uhr versammelte sich die Farmergemeinschaft mit den wenigen Gästen im
Restaurantbereich, wo ein Abendbuffet mit heimischen Spezialitäten auf alle
wartete. Jetzt stellte sich die Familie Sachse persönlich vor. Frau Maria war
für den Ausschank zuständig, Tochter Nenja hatte die Bedienung im Griff und
Gerd Sachse war Küchenchef und Teamleiter.
Mit viel
Liebe zum Detail waren zwei Tischreihen auf der Terrasse originell afrikanisch
eingedeckt. Sogar das Geschirr passte zum Ambiente.
Der Farmer
eröffnete das Dinner, begrüßte seine Gäste mit viel Herzlichkeit, verwies stolz
auf seine schwarzen Farmarbeiter, mit denen die Familie Sachse am Tisch saß.
„Nun lade ich euch alle zum Abendessen ein, das Buffet ist im Haus angerichtet.
Wenn ich meine Lieblingsgerichte koche, liege ich bei den Freunden immer
richtig. Es gibt Kudu-Hackbällchen für die Fleischliebhaber, vielerlei
Gemüsiges und Süßes. Lasst es euch munden!“
„Mir hat
die Brokkoli-Süßkartoffelpfanne außergewöhnlich herzhaft geschmeckt. So etwas
Pikantes gibt es bei uns gar nicht!“ „Diesen besonderen Geschmack erzielt man
nur mit einem afrikanischen Kräutermix!“, fügte Hanna hinzu.
Bestens
gelaunt und üppig gesättigt, kamen wir rasch mit den Einheimischen ins Plaudern
und gaben uns dem Gästespaß mit Musik und Tanz hin. Ich schwebte in Carls Armen
wie im achten Himmel. Ein paar Angestellte wagten auch ein Tänzchen mit unseren
Freundinnen. Der Sonnenball ließ den Tag ausklingen und zauberte ein
flimmerndes Bild, das die Abendstimmung romantisch umrahmte.
Am
Montagmorgen holte uns ein prächtiger Hahn mit seinem „Kikeriki-Schrei“ in die
neue Woche.
Ein
vielseitiges Frühstück wappnete uns für die Weiterfahrt. Nun hatten wir
erfahren, dass hier alle wie in einer großen Familie lebten und Gerd, Maria
sowie Nenja bodenständige Weiße waren. Wir kamen wirklich als Fremde und
reisten als Freunde ab.
Versunken
im Rausch des Glückes, bemerkte ich gar nicht, wie rasch wir auf der
Fernverkehrsstraße unserem nördlichen Ziel näher kamen. Meine Augen starrten
auf die Visitenkarte der Sachsenheimfarm mit der Adresse: Gerd und Maria Sachse
– POBOX 1713 – Tsumeb – NAMIBIA.
Je weiter
wir uns vom Okavangodelta entfernt hatten, desto öder und trockener wurde die
Landschaft. Mir erschien alles wie weiß gepudert. Sogar die Fahrzeuge, die uns
entgegen kamen, schimmerten alle grauweiß hässlich.
„Hier ist
die Natur vom Salzwüstensand der Etosha-Pfanne bereits verweht. Das Bühnenbild
wird noch spannender!“, versprach Rosi. „Um den Wildtieren ein Überleben zu
ermöglichen, wurde der Etosha-Park bereits 1907 angelegt und von Jahr zu Jahr
erweitert. Dieser Nationalpark ist einer der herrlichsten und tierreichsten
Naturschutzgebiete Afrikas. Das Territorium von 23 000 km² wird jetzt staatlich geleitet.“, setzte Mieke fort.
Nun verkündete Carl das Safarimotto: „Die Wildnis ruft! Laut Prospektinfo
werden im hier etwa 2000 Elefanten, 600 Zebras, 500 Gnus und 20 000 Springböcke
beherbergt. Oryxantilopen, Flamingos und Wasservögel treten ebenfalls
massenhaft auf. Es wäre eine endlose Kette, sämtliche Arten beim Namen zu
nennen. Wir werden Unermessliches entdecken!“
Wir bezahlten eine recht hohe Eintrittsgebühr, bevor
sich der Schlagbaum ins Wildtierreich öffnete.
Eine zupfende Giraffe jenseits der vorgeschriebenen
Staubpfade schwenkte uns begrüßend ihren Kopf zu. Mehrere Zebraschönheiten
waren auf Wanderschaft. „Bei dieser Hitze zieht es sämtliche Tierarten zu den
Wasserstellen, die größtenteils durch Bohrbrunnen erschlossen oder künstlich
angelegte Teiche erschaffen wurden.“, erklärte Mia. Jetzt kam der Verkehr der
Schaulustugen ins Rollen. Safaribusse, offene Geländewagen, Jeeps und Lkw`s
kreuzten unsere Wege. „Dort scheint das nächste Wasserparadies zu sein!“ Carl
wechselte die Fahrtrichtung und Hanna klärte mich weiter auf. „Übermut kann
tödlich sein! Hier darf man nur die markierten Routen befahren! Es ist bei
Lebensgefahr verboten, sein Fahrzeug zu verlassen! Tierfütterungen und
Berührungen sind ebenfalls strengstens zu unterlassen!“ Diese Verhaltensregeln
wurden auf den jeweiligen Hinweisschildern noch einmal verdeutlicht. „Entweder
man durchquert den Park mit einem Guide und öffentlichen Safari-Taxis oder in
Eigenverantwortung, so wie wir.“, betonte Hanna. „Zum Glück habe ich wohl die zuverlässigsten
Reiseführer Namibias erwischt!“, lobte ich.
Als wir uns einer der Lebensquellen näherten,
glaubte ich, mal wieder in das Reich der Träume eingetaucht zu sein. Eine Herde
von etwa 20 Elefanten hatte sich zum Badespaß eingefunden, ihre kolossalen
Körper überragten die übrigen Parkbewohner, von winzig (Wasservögel) über klein
(Pelikane) bis groß (Zebras). Derartig vielfältige Tieransammlungen hatte ich
noch nirgendwo zu Gesicht bekommen. Im instinktiven Einvernehmen hatte sich
jeder Artgenosse seine Platzkarte gesichert. Lediglich die Elefanten beanspruchten
ihr eigenes Terrain. „Was für ein tiergesellschaftliches Ereignis!“, stellte
ich fest.
Carl hatte zwischen all den Safarifahrzeugen noch
eine Lücke gefunden, in die er uns gekonnt hereinjonglierte. Jetzt war der
Blick frei und aus Safaritouristen wurden Großbildjäger, lohnendere Motive gab
es wohl kaum. „Beeindruckend, wie sich die Rüsseltiere, Giraffen, Kudus,
Rehböcke, Pelikane, Hyänen, Antilopen, Gemsböcke, Flamingos, Geier und bunt
gefiederte Wasservögel das Lebenselixier teilen!“, staunte ich.
„Du kennst doch das Sprichwort: ‚Frieden ernährt,
Unfrieden zerstört!‘, das gilt sowohl im Mensch- als auch im Tierreich!“, warf
Carl ein.
Später stoppten wir an einem wesentlich kleineren
Wasserloch, in dem sich Bockis und Antilopen erfrischten. „Schaut mal nach
rechts, dort zeigt sich uns ein sehr seltener Badespaß!“ Am Rand des Ufers
lauerte eine Hyäne mitten im Wasser. „Ob sie wohl zum Trinkgenuss auch den
Fleischgenuss findet?“, orakelte ich. Gespannt verfolgten wir das weitere
Geschehen. In der Luft lag ein Knistern. Diese Spannung zerriss plötzlich, als
Löwengebrüll in der Ferne vernehmbar war. Im Nu verflüchtigten sich die
Vierbeiner, die Vögel flatterten aufgeschreckt gen Himmel. Wir dagegen harrten
aus, um dem König der Wildnis auf die Spur zu kommen. Vergebens! Er hatte eine
andere Richtung eingeschlagen. „Es gibt hier einen bestimmten Bereich, in dem
wir bis jetzt immer Löwenbekanntschaft gemacht haben!“, tröstete Hanna.
Carl blies zum Rückzug. „Aus Kostengründen haben wir
eine Lodges außerhalb des Camps gebucht. Hier im Park ist alles überteuert.
Lasst uns zum Quartier aufbrechen!“
Erst jetzt spürte ich Hunger und Erschöpfung. Dazu
besetzte eine brütende Hitze Körper und Geist. Wir hatten einen der heißesten
Tage erwischt mit 42° C. Kaum vorstellbar, dass man diese Hitze in Deutschland
ertragen würde. Momentan schützte uns das Autodach, und der Fahrtwind brachte
Abkühlung. „Der brennende Horizont ist oft sehr bedrohlich für alles, was lebt
und Wasser braucht!“, vernahm ich Hannas Stimme.
Wir fuhren gut 30 Minuten bis zum Safaricamp, das
uns von einer Bergkette aus entgegen lächelte. Reizvolle Rundhütten,
terrassenförmig angelegt, warteten auf uns, urig namibisch gemütlich. „Carl,
schau dir doch mal diese exotischen Duschen an, einfach sensationell. Halbrund
gefliest mit Elefantenrelief. Stell dir vor, der Wasserstrahl wird gerüsselt!“
Er lachte über meine kindliche Begeisterung, schloss
mich fest in seine Arme. „Das kenne ich doch schon alles, mein Liebling. Ich
lebe seit fast fünfzig Jahren in diesem Kameldornland.“ „Einfach imposant,
urig, touristisch abgestimmt, diese Wohnanlage und obendrein in schwarzen
Händen!“ Als ich auf eine kühle Rüsselerfrischung hoffte, wurde ich lauwarm
berieselt. „Das Duschwasser wird doch nicht gekühlt. Sei froh, dass man bei
dieser Trockenheit überhaupt so großzügig mit dem Wasser umgehen kann!“
Nach einem Erfrischungsgetränk aus der Kühlbox
trafen wir uns zu einem Erkundungsgang durch das „Halai Camp“. Im
Ankunftsbereich, wo die Fahrzeuge geparkt werden konnten, befanden sich neben
der Rezeption auch Einkaufsstände und gastronomische Einrichtungen. Sogar ein
kleines Museum, das die Buschkultur widerspiegelte, zog mich an. Gemütlich
afrikanisch war der Innenhof gestaltet, sozusagen das Kulturzentrum des Camps.
„Hier logieren wir immer, wenn wir der Etosha-Pfanne unsere Ehre erweisen!“,
betonte Mia stolz.
Wir schlürften unseren Drink und entspannten in
dieser zauberhafte Atmosphäre bis zur Abendessenszeit. Dann nahmen wir unsere
Plätze auf der Restaurantterrasse ein und ließen uns mit einem Viergänge-Menü
überraschen. Während wir die regionalen Köstlichkeiten verspeisten, spielte
eine afrikanische Band Heimatmelodien, die mit Gesang umrahmt wurden.
Geselligkeit, Gemütlichkeit und Neugierde brachten Menschen der verschiedensten
Nationen auf wundervolle Weise zusammen. Ob sie wohl alle Namibia liebten oder
nur aus geschäftlichen Gründen vor Ort waren?
Von den flimmernden Luftspiegelungen der Etosha-Pfanne
überwältigt, fiel ich in einen Tiefschlaf, bis die Sonne wieder aufging. Hellwach
lag ich nun neben meinem Herzbuben und war ihm dankbar dafür, dass er mir
zuliebe mit vier Frauen durchs Land reiste. Jeder von uns zollte er den nötigen
Respekt und war die Höflichkeit in Person. Rasch duschte ich mich und machte
mich hübsch für ein neues Abenteuer.
Wir wollten mit die ersten im Wildtierreich sein, um
die Morgenwäsche der Tiere nicht zu verpassen. Außerdem trieb mich die Neugier
auf alles, was es hier zu entdecken gab, an. Während der Fahrt streckte ich
meinen Hals durch den Fensterschlitz, der Kopf wippte im Rhythmus der Kurven. „Werde
nicht übermütig!“, mahnte Rosi. „Könnte glatt abheben vor lauter Lebenslust!“
Auf einmal entdeckten wir eine dunkle Wolke, die
majestätisch vor uns her zog. Es war ein seltener Anblick, den wir zu würdigen
wussten. „Vielleicht ein Hoffnungsschimmer auf Regen!“
Neue Route, neue Kasse! Nichts ist mehr umsonst.
Aber dieses atemberaubende Tierreich muss erhalten bleiben, also zahlen wir
gerne!“, hörte ich Carl. Film ab! Klappe, die erste! Eine beschauliche
Springbockherde trabte aus dem Busch heraus und stoppte unsere Fahrt. Zwei
Böcke lieferten sich auf der Staubpiste ganz unerwartet ein heftiges
Hörnergefecht, umringt von den sensationslustigen Artgenossen. Kudus grüßten
uns vom rechten Wegesrand. Im welken Gras tuschelten zwei Onyxantilopen. Da, wo
die meisten Tiere nicht hinreichten, zupften die stolzen Giraffenbewohner das
letzte Blattgrün ab. So allmählich kam im Park Wuhling auf, Safarifahrzeuge
knatterten aus mehreren Richtungen den Wasserstellen entgegen, um das
Kompaktprogramm einzufangen, denn so wie wir unseren Morgenkaffee brauchten,
lechzten auch die Tiere nach Wasser.
Die Schaulustigen wollten die Tierversammlung
hautnah erleben und drängten in die ersten Ränge. So langsam wurde ich quirlig.
„Carl, beeile dich, wenn wir schnell sind, erhaschen wir auch noch einen
Logenplatz.“ Er gab Gas und zog eine salzstaubige Bahn hinter sich.
Geschafft, der Bühnenvorhang öffnete sich. Das
Tierspektakel wurde von den langhalsigen Giraffen beherrscht, die in
Kreuzbeinstellung den Durst stillten. Fast ein artistischer Akt!
Mia kommentierte: „Ein Glücksfall, so lange die Big
Fivers nicht im Anmarsch sind. Die Löwen, Elefanten, Büffel, Leoparden und
Nashörner gehören zu den gefährlichsten Tierarten im afrikanischen Busch!“
Klick, klick und wir pirschten weiter in eine öde
wirkende Region, total eingesalzen. Gepuderte Termitenhügel waren das
Herausragende. Doch schlagartig veränderte sich die Kulisse, als wir auf ein anderes
Wasserloch zusteuerten. Elefanten, Zebras, Gnus und Flamingos tummelten sich in
bunter Eintracht. Man vernahm ein Schlürfen, Schöpfen, Saugen und Prusten.
Wildschweine rüsselten im Uferschlamm. „So friedlich geht es nicht immer zu!“
In der Mittagshitze gerieten auch die Tiere in den
Trägheitszustand. Nirgendwo eine Klimaanlage oder ein kühler Lufthauch, also
suchten sie Schutz im Baum- und Strauchschatten. Dicht aneinandergeschmiegt
gaben Antilopengruppen ein Hörnerschwungbild ab. Ebenso hatten sich die Kudus
militärisch exakt unter einem Sonnenblätterdach formiert. Das glänzende Fell
der Pferdeantilopen leuchtete uns fröhlich entgegen. Fiesta!
„Nutzt ihr diesen Wildreichtum im Park nur für den
Tourismus?“, wollte ich wissen. Hanna hatte die Antwort parat: „Überzählige
Tiere werden zur Nachzucht, zur Versteigerung oder Fleischverarbeitung
freigegeben. Manche fallen den Big Fives zum Fraß, einige verdursten. Am
Widerwärtigsten ist es aber, wenn Wilderer den Trophäen nachjagen und vielen
Gattungen ein miserables Kadaverschicksal bereiten.“
Großwildmomentaufnahmen! Während sich Springböcke
und Kudus bereits ein feuchtfröhliches Stelldichein gaben, nahten die weiß
gepuderten Queen-Elefanten gemächlich einherstampfend. Straußenvögel
versuchten, sich in den Reigen zu drängen, erhielten aber keinen Spielraum.
Plötzlich entfachte ein Tumult. Elefantenzoff! Rüssel umschlungen sich, Ohren
umwedelten die Köpfe und riesige Körper prallten gegeneinander. Galante
Ausweichmanöver und ein kräftiger Rüsselstups in das Hinterteil des Gegenübers
belustigten uns. „So etwas hat ja die Welt noch nicht gesehen!“, triumphierte
ich. „Duell der Wildgiganten!“ „Mag wohl ein Eifersuchtsakt gewesen sein. Beide
begehren dieselbe Elefantenkuh, die im Abseits posiert! In derartigen
Situationen sind sich Zwei- und Vierbeiner ähnlich.“, meinte Rosi.
Szenenwechsel! Wir wurden Wettkampfrichter, als die
Zebras ein gigantisches Salzpfannenrennen veranstalteten. Jeder gegen jeden!
Schwänze wedelten, Köpfe verdrehten sich und Beine liefen. Am Ziel waren alle
Sieger und wir genossen den gestreiften Spaß.
„Verdammt, wenn wir nicht bald eine Löwenmähne
aufspüren, zweifle ich an meinen früheren Begegnungen. Genau hier hatten wir im
vorigen Sommer die unvergesslichsten Erlebnisse mit der Königsklasse!“, fluchte
Hanna. „Lauter Zebras und Bockies, nirgendwo eine Raubkatze! Leckt uns doch am
Arsch, wir suchen uns ein anderes Vergnügen!“, monierte Mia.
Fliegender Fahrerwechsel. Nun setzte sich Mia hinter
das Lenkrad und Carl übernahm die Information: „Das mächtigste Raubtier Afrikas
ist der Löwe. Er kann mit nur einem Prankenhieb verheerende Wunden schlagen und
ist nachtsichtig. So gelingt es ihm, seine Beute im Dunkeln zu jagen. Diese
Tiere leben in Rudeln und erkennen sich am Gebrüll. Zebras, Giraffen, Büffel
und Antilopen sind ihre bevorzugte Beute.“
Etwas traurig über den misslungenen Pirscherfolg
traten wir den Rückzug an und verweilten auf einem Höhenzug. Vor uns erstreckte
sich das Etoshapfannen-Panorama, weiß glitzernd und einzigartig. Abendstimmung
kam auf, es wurde leicht kühler, einfach erträglicher. Ein phänomenales
Horizontspektrum, vom Sternenhimmel gekrönt, hielt uns gefangen. Lichtschweife
schwebten über uns mit bizarren Farbnuancen, tiefblau, weinrot, gelborange,
violett-schwarz und grau. Augenblicklich explodierte dieses Panorama und
Traumspuren offenbarten sich. Wir erstarrten vor der Königsklasse Löwenpracht.
Ein einsam gewaltiges Exemplar relaxte friedlich, unweit der Fahrspur unter
einem Baum, beim Abendgebet: Lieber Gott, beschere mir für diese Nacht reiche
Beute!“
Mia brachte den VW-Bus zum Halten und wir griffen
zum Fernglas, um das Tier auf Augenhöhe erfassen zu können. „Ob der Löwe
schläft, in die Landschaft späht oder sich auf die nächtliche Jagd vorbereitet,
weiß man nie. In jedem Fall geht von ihm größte Gefahr aus!“, gab Hanna zu
bedenken.
„Manchmal wünsche ich mir, die Gedanken anderer
Lebewesen lesen zu können, um gescheiter zu werden. Aber eins steht fest, wir
passen nicht in das Löwen- Beuteschema!“, bemerkte ich.
„Vielleicht belauert er aber auch die Kuduherde dort
drüben und wartet darauf, ein abgeschlagenes Tier niederstrecken zu können.“
Rosi spann den Faden weiter: „Der Todesschrei eines
Opfertieres bedeutet Gefahr für den Jäger. Eilt die Herde herbei, ist der Löwe
chancenlos.“
Uns fehlte die Zeit, um auf die Entwicklung der
Geschehnisse zu warten. Also peilten wir den nächsten Wasserspaß an, wo bereits
eine Touristenansammlung herrschte. Nur mit Mühe fanden wir eine
Beobachtungslücke. „Hurra, ein Elefantenpool! Bei diesen Safaris habe ich mich
bedingungslos in diese Dickhäuter verliebt, kolossal und doch gefühlvoll!“
Schon konnten wir das Erfrischungsvergnügen von fünf
gewaltig großen Queenelefanten beobachten. Eine Elefantenkuh schlängelte ihren
Rüssel ins kühle Nass und schöpfte den Rüsselschlauch mit kunstvollen Drehungen
voll. Mit Schwung und Geschick landete das Wasser im Maul. „Prost!“, dachte
ich.
Der Bulle zelebrierte ein völlig anderes Saufritual.
Er füllte seinen Rüssel und gab ein Spritzbad auf seine Füße ab. Danach wurde
die Rüsseldusche systematisch zur Erfrischung des gesamten Körpers. Ich schoss
fantastische Fotos durch die Fensteröffnung. Im selben Moment sprang ein
Pirschmensch mit seiner Kamera zwischen den Fahrzeugen rum und drängte nach
vorne. „Ein Lebensmüder!“, schrie Mia. „Diese Chaoten gibt es überall!“
Mittagshungrig stoppten wir im Etosha-Camp und
steuerten den-Imbiss an, teuer und wenig schmackhaft. Trotzdem kauften wir
Getränke, Souvenirs und machten Pullerpause. „Pfui Teufel, sind die Toiletten
ekelhaft! Hier wird nur abgezockt, seit das Camp in Regierungshand ist.“,
schimpfte Mia.
Die Parkanlage selbst bot aber so manche Attraktionen,
die für mich eine neue Endeckung waren. Also verweilten wir ein Stündchen im
Tierpanorama hautnah. Im Osten hatte man eine komfortable Wohnanlage errichtet,
visavis lag das Wildtierreich, getrennt durch ein Wasserbad. Auf der einen
Seite vergnügte sich die Tierwelt und auf der anderen lauschten wir.
Naturtheater vom Feinsten. In den Beobachtungsrängen waren sogar Hochsitze
angelegt, damit man das Geschehen besser überschauen konnte. Einfach
sensationell, wie sich Mensch und Tier von Angesicht zu Angesicht gegenüber
standen. Man schaute der Gefahr förmlich ins Auge, lediglich durch eine
Wassergrenze getrennt. Hanna konnte von diesem magischen Ort eine merkwürdige
Begebenheit preisgeben: „Beim Grillfest der Touristen ist es mehrfach
vorgekommen, dass Fleischstücke plötzlich vom Rost verschwunden waren. Wie das,
fragte man sich? Listige Löffelhunde, die abends durch die Steppe pirschten,
wurden vom Geruch des Grillfleisches angelockt. Sie suchten sich eine Lücke im
Absperrzaun und schlichen den verführerischen Düften nach. Blitzartig
stibitzten sie, was unbemerkt zu holen war. Seit diesen Vorfällen darf nur noch
an zentral bewachten Plätzen gebruzzelt werden.“
Zum Abschluss der Besichtigung erkletterten Carl und
ich noch einen Aussichtsturm, von dem aus wir unsere Blicke weit in das Land
schicken konnten. Bemerkenswert erschienen mir die Kontraste zwischen Berg und
Tal deren Farben von Grau über Braun und Rot bis hin zum satten Grün
wechselten.
Überdimensionale Webervögelnester schienen mich fast
zu erdrücken. Faszinationsgeladen rang ich nach Luft. Traum oder Wirklichkeit?
Jeder Tag verzückte mich aufs Neue und ließ meine Liebe zu diesem Land wachsen.
Dämmerparty im Camp! Als wir zum Abendessen kamen,
war richtig was los. Die Bude war voll. Bustouristen hielten die
Restaurantplätze besetzt. Flexibel wie wir waren, fanden wir im
Badewannenbereich eine Sitzgelegenheit. Hier hatten helle Köpfe Wannen zu
Sesseloasen umfunktioniert, einzigartig abartig, aber originell gemütlich.
Jedenfalls hatten wir unseren Spaß.
Mittwochmorgen, das Etosha-Gelände lag uns zu Füßen
und wir waren bereit, uns einem neuen Tagspiel zu ergeben. Erwartungsvoll
begaben wir uns auf Abenteurereise, etwas wehleidig, denn es war unsere letzte
Stipvisite in diesem Widtierparadies.
Ein Wasserloch mit bekannter Tierversammlung,
Staubwolken, glitzernde Salzpfützen und frohe Gemüter belebten das
Morgengrauen. Ich wollte alles einfangen und mit nach Deutschland nehmen, was
es hier an Außergewöhnlichem gab. Auch als uns die Mittagsglut überschüttete, gingen
wir auf die Pirsch. Der Himmelsplanet sendete unerbittliche Signale zur Erde.
Die Vierbeiner hatten sich bereits den Schattenspielen hingegeben, schoben,
schubsten, drängelten und wurden unruhig. Giraffen schienen mit einem
Futterbaum verwachsen zu sein und Elefanten suhlten sich ohne Unterlass im
Schlamm. „Bei den Temperaturen müssen sie aufpassen, dass ihre Körper nicht
austrocknen. Der afrikanische Elefant, das größte Landtier, braucht pro Tag
etwa 50 Liter Wasser, um den Durst zu stillen. Nashörner, die wir seltener zu
Gesicht bekommen, halten es dagegen einen ganzen Tag lang ohne Flüssigkeit
aus!“, wusste Carl.
Man spürte förmlich, dass etwas in der Luft lag. Mit
einem Mal starrten wir alle gen Himmel, der sich in Sekundenschnelle in einen
bedrohlichen Wolkenschleier gehüllt hatte. Wie aus dem Nichts zwirbelte sich
ein Wirbelsturm auf. Spiralförmig geisterten Sandformationen in die Höhe. Ich
sperrte Mund und Ohren auf, dieser Zauber der Natur war mir neu. Die
Sandgespenster wuchsen bedrohlich. „Besteht jetzt Unwettergefahr? Sollten wir
uns nicht lieber in Sicherheit bringen?“, bibberte ich. „Noch haben wir Zeit,
die Stürme toben erst in der Ferne. Man muss beobachten, wo sie hinziehen.
Manchmal verschwinden sie wieder wie eine Fata Morgana!
„Wir fahren zur Sicherheit zum Camp zurück!“ Eine
Staubwolke machte uns blind, als ein rasanter Raser auf der Überholspur
vorbeidüste. „So ein Idiot!“, schimpfte Hanna.
In unseren Unterkünften angekommen, mixte uns Mia
einen Mutmacher, natürlich Red Shandy. Der Drink beruhigte uns wieder und die
Wetterlage tat es ebenso. Also stürmten wir den Poolbereich, sicherten uns ein
Oaseplätzchen und beobachteten gekonnt, wie der Sandschweif immer weiter
Richtung Osten abdriftete. Merkwürdigerweise entlud sich nicht ein einziges
Regentröpfchen, während es anderswo zu Starkregen kam. Wir schüttelten den
Angstschweiß im Wasserbecken ab und machten uns am Abend zum Abschiedsessen
ladychic. Diese atemberaubenden Etosha-Tage
sollten einen krönenden Abschluss finden.
Letzmalig speisten wir fürstlich afrikanisch im Vergnügungszentrum,
lauschten den Klängen der Hausband, die sogar Beatlessongs im Repertoire hatte.
So ließen wir Körper und Seele baumeln. Auf dem Weg zu den Rundhütten blieben
unsere Sinne an einem unglaublich leuchtenden Sternenfirmament haften. Ich
entdecke gerade den Nordpolarstern, als es „Schwups!“ machte und eine
Sternschnuppe direkt an mir vorbei flimmerte. Völlig losgelöst sprach ich einen
Herzenswunsch ganz leise aus. Auch an
unserem letzten Safari-Tourtag erlagen wir dem Charme der Wildnis. Schakale
schlichen zwischen Straßenstelzen und Kudubeinen rum, was sehr lustig
anzuschauen war. Und dann entdeckte ich etwas sehr Seltsames. „Welch ein
ungewohnter Anblick, das ist ja ein Rabenfeld. Wachsen die Federtiere hier?“,
unkte ich.
Rosi lachte herzhaft: „Diese schwarzen Vögel haben
hier ihr Brutgebiet und sichern ihre Nester gegen Schlangenräuber ab. Das Wunder
Natur hat jedem Tier einen eigenen Charakter und ein Tarnkleid gewebt.“
„Nirgendwo wird einem der Kreislauf des Lebens
besser bewusst gemacht, wie in Namibia und darum liebe ich euer Reich.“
Ein Nashorn am Wegesrand ließ Carl plötzlich stoppen.
„Hallo Spitzmaul, schön, dass du auf uns gewartet hast. So ein gewichtiges
Exemplar wie dich sieht man nicht alle Tage und schon gar nicht mit Horn.
Scheinst auch friedfertig zu sein!“, begann Hanna die Unterhaltung.
„Hörnerjäger, die hier im Park zur Strecke gebracht werden, erfahren harte
Strafen. Wusstet ihr schon, dass das Horn zermahlen wird und mit Beimengungen
als Potenzmittel gewinnbringend auf dem Weltmarkt zum Verkauf angeboten wird?“
„Oh wie widerwärtig!“, rief ich aus.
Die Pfanne war wieder am Dampfen, mindestens 40°C.
Man hätte Eier darin braten können, aber darauf hatte jetzt niemand Appetit.
Wir griffen nur zur Wasserflasche. Verbrannte Erde, vertrocknetes Gras,
verdörrte Sträucher und absterbende Bäume, die gespenstisch aus der Dürre
ragten. Erstmals sichteten wir einige Tierkadaver, die vom Überlebenskampf
zeugten. Lediglich den Steinbrocken hatte der Sonnenplanet kein Leid zufügen
können.
Diese tristen Bilder stimmten mich traurig. „Etosha
ist wie ein einzigartiges Drama der Naturarena, manchmal auch für Menschen!“,
brachte es Carl auf den Punkt.
„Für Leute mit viel Geld werden
Hubschrauberrundflüge angeboten. Ein Safarinarr nötigte einmal den Piloten,
tiefer und immer tiefer zu fliegen. Er war in seiner Beobachtungsgier
unersättlich, bis das Flugzeug abstürzte. Tags darauf hatte man nur noch die
Knochengerüste der Männer ausmachen können. Vieles verliert sich in der Weite.“
Hanna wusste: „Einige Fotografenspinner haben ihren Wagemut auch schon mit dem
Leben bezahlt.“
Zum Abschied glitzerten die ausgetrockneten
Salzpfannen gespenstisch und doch hatte man hier dafür gesorgt, das die Tiere
eine Überlebenschance bekamen.
Mia chauffierte uns nach Ombindja, einer Kleinstadt,
teils modern, teils hüttentypisch. In den Randgebieten waren die Schwarzen
angesiedelt und wo der Fortschritt deutlich wurde, lebten vorwiegend Weiße. Die
Einen gebildet, die Anderen größtenteils ungebildet. Wer ein geregeltes
Einkommen hatte, konnte sich eine Stadtwohnung leisten. Im Zentrum pulsierte
das Leben, überall bewegte sich etwas Den Passanten schien es an nichts zu
fehlen. Europäisch modern oder im Business-Stil gekleidet, durchschritten die
Menschen stolz und zielstrebig die Innenstadt. Cafès und Restaurants säumten
die Fußgängerzone. Ich zeigte mich total beeindruckt.
Als wir im Begriff waren, weiter zu fahren, fiel
Rosi ein: „Halt! Da ist eine Apotheka. Muss unbedingt ein Verdauungsmittel
haben. Langes Sitzen gefällt meinem Darm nicht!“ „Gute Idee, ich möchte
Voltarensalbe kaufen, gibt es die hier auch?“
„Bei uns gibt es alles, bloß nicht an jeder Ecke und
für jedermann erschwinglich.“, so Hanna.
Im Verkaufsraum wurden wir zu meinem Erstaunen
deutschsprachig fachgerecht beraten. Lustige Kinderaugen starren uns an, weil
wir fremdartig sprechen. Die kleinen
Wuschelköpfe versuchen, mit uns zu schäkern. Wir revanchieren uns für diese
Zuneigung mit Gummibärchen. Kinderfreundschaft!
Vor unserem VW-Bus herrschte Tumult. Die Freundinnen
redeten und gestikulierten mit einer obszönen Gestalt. Erstaunt beäugte ich die
lehmverschmierte Ovahimba. Diese Frau, etwa fünfzig, sah erdig, halb nackt,
runtergekommen und abgegriffen aus. „Will die etwa mit uns reisen?“, fragte ich
so zum Spaß. „Du hast es erfasst. Sie will sogar noch mehr. Bis jetzt haben wir
deinen Carl beschützt, nun kannst du das selbst tun!“, rief mir Mia entgegen.
„Was geht hier eigentlich ab?“, wollte Rosi wissen.
Hanna gab empört Auskunft: „Die will Carl heiraten! Ist richtig frech geworden
und lässt sich nicht abwimmeln.“ „Es gibt viele alleinstehende bedauernswerte
Geschöpfe, die sich auf diese Weise ein besseres Leben erkämpfen wollen.“,
hörte ich.
Sichtlich schmunzelnd, überließ ich meinen
Namibia-Damen die Klärung des Problems. Mich hätte sie ja sowieso nicht
verstanden. Etwas entspannter geworden, setzten wir die Weiterfahrt fort und
ich war begierig darauf zu erfahren, wie das Wortgefecht geendet hatte. „Das
Ovahimbaweib suchte eine Zukunft und war sogar bereit, als Zweitfrau
mitzukommen.“ „Die hat gestunken und neben ihren Worten wippten die Brüste
griffbereit.“, empörte sich Hanna. „Solche Schlampen prostituieren sich
überall. Rote Erde, ihr Sonnenschutz, haftet oft tagelang auf Haut und Haar.
Zum Schluss schrie sie noch, dass der Doktor ihr bestätigt hat, aidsfrei zu
sein.“, ergänzte Mia.
„Ich erinnerte mich, neben der Apotheka war eine
Arztpraxis, vor deren Tür die Leute sogar wartend im Dreck saßen. Über diesen
ominösen Zwischenfall haben wir im Nachhinein noch oft gelacht. Carl schwieg zu
allem. Ihm hatte es wohl die Sprache verschlagen. Auf solche unmoralischen Angebote
stand er definitiv nicht.
Auf dem Marktplatz in Swakopmund waren mir diese
armen Geschöpfe vor zwei Jahren bereits aufgefallen. Sie hockten mit ihrer
Kinderschar auf dem Erdboden und verkauften recht hübschen Schmuck. Echte
Handarbeit! Diverse Ketten, Ringe und Armbänder zierten die eigenen Körper.
Nun erzählte Hanna: „Die Ovahimba, eine Untergruppe
der Hereros, lebte als Hirtenvolk von Ziegen, Kuhmilch und Pflanzen. Ihre
Hütten sind noch heute recht primitiv gebaut. Einfache Gebilde aus Sprößlingen,
die mit den Blättern der Makalanipalme zusemmengebunden sind. Zum Abdichten
wird Dunk verwendet. Die Behausungen müssen leicht demontierbar und
transportabel sein. Man zieht den Tieren nach, um den Lebensunterhalt
abzusichern. Diese Ureinwohner sind stets auf der Suche nach Weidegrund. Bis zu
zehn mal im Jahr wird ein Esel mit Hab und Gut beladen, um dorthin umzusiedeln,
wo fruchtbares Gelände ist.“
„Diese Lebensart klingt für uns Europäer
unvorstellbar!“
Wir setzten unsere Fahrt nach Süden fort, dem Atlantik
und der Heimatstadt meiner Freunde entgegen. Es standen noch einige Erkundungen
auf unserem Veranstaltungsplan.
„Swakopmund, die Metropole der Deutschen seit 1862.
Sie entwickelten die Stadt zu einem Handelszentrum und Ferienparadies. Heute
leben 17 Millionen Menschen, schwarz, weiß und verschiedenster
Stammeszugehörigkeit, zusammen.“, leitete Hanna ein.
Die Reize dieser Weltmetropole und das Deutschtum
hatte ich bereits bei meinem ersten Besuch in hier eingefangen. Also freute ich
mich auf Kultur, Familienbegegnungen und weitere Überraschungen.
Je näher wir diesem Ziel kamen, um so kühler wurde
es. Wolkenstreifen bremsten die intensiven Sonnenstrahlen aus. Einfach angenehm
erfrischend! Mia und Hanna whatsappten bereits ihre Ankunft, obwohl noch ein langer
Weg vor uns lag. Aber in Namibia sind endlose Strecken normal.
Imbiss-Stopp in Kalkfeld. Dieser Ort hatte sich
bereits bei meiner ersten Begegnung von einer düsteren Seite gezeigt.
Inzwischen sah es nicht viel wohnlicher aus. Pröckelnde Hausfassaden,
Dreckecken an den Straßenrändern und in den Grünanlagen. Unfertige Bauwerke und
herumhängende Männergrüppchen schreckten mich ab. „Diese Entwicklung verstehe
ich nicht. In dem Ort hat sich ja inzwischen so gut wie nichts verändert,
das sichtbar ist. Aber aus einer
deutschen Zeitung weiß ich, dass es ein Projekte für ein Waisenhaus im
namibischen Kalkfeld gibt. Ein Herr Dirk Rohrmann hat dieses Kinderheim gegründet, um Not zu lindern. Die Einrichtung
kann nur von Spenden leben, da es keine staatlichen Fonds dafür gibt. Dank
seiner Initiativen konnte das Gebäude von 32 Plätzen auf 58 aufgestockt werden.
Sogar aus unserer Region kommen die
Spenden!“, bemerkte ich fassungslos. Carl erzählte: „Unter schwarzer Herrschaft
wurde aus diesem wichtigen Handelszentrum ein bedeutungsloses Städtchen. Es
wird Zeit, dass Kalkfeld wieder zur Geschäftsmetropole erblüht.“
Eine Welle Fortschritt kam ins Rollen. Die
Hauptverkehrsstraße, die wir befuhren, verlief fast parallel zur Eisenbahnlinie.
An vielen Abschnitten wurde noch gebaut. Unverhofft gab es einen Ruck und meine
Nase klebt fast am Autofensterglas. Erschrocken blickte ich in eine
Wildschweinvisage, zwei Keilerzähne schienen uns blockieren zu wollen.
Letztendlich wich die Angriffslust der PS-Stärke.
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